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Organisierte Unmenschlichkeit
40.000 Abschiebungen im Jahr 1998 - so lautete die Erfolgsbilanz des Bundesgrenzschutzes (BGS). Damit hält Deutschland einen traurigen Europarekord und festigt seine Vorreiterrolle in der europäischen Abschiebepolitik
Um eine solch effektive Abschiebepraxis durchzusetzen, bedarf es eines hohen Maßes an Spezialisierung und ressortübergreifender Zusammenarbeit, aber auch bösartiger Fantasie und Kaltherzigkeit bei den Strategen. Hochspezialisierte Stäbe in den sogenannten Zentralen Rückführungsstellen der Länder sowie bei der Grenzschutzdirektion in Koblenz sind mit nichts anderem befasst, als neue Mittel und Wege zu finden, »unerwünschte Ausländer« loszuwerden. Moderne Technokraten haben sich der Bekämpfung der illegalen Migration verschrieben. Kein Maßstab scheint mehr zu gelten, wenn es um die Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung geht. In München werden regelmäßig Außentermine der Botschaften der Herkunftsländer von Flüchtlingen abgehalten - in einer staatlichen Flüchtlingsunterkunft. In Nürnberg wurden iranische Frauen zwangsweise verschleiert, um von ihnen Passfotos anzufertigen, die für die Beschaffung von Heimreisepapieren benötigt werden. Überall in Deutschland werden Eheschließungen zwischen Deutschen und Flüchtlingen massiv behindert und vielfach durch bürokratische Hürden unmöglich gemacht. Familien werden auseinandergerissen, notfalls schon mal Eltern ohne ihre Kinder abgeschoben, wie jüngst in Regensburg geschehen, wo ein 10jähriges armenisches Mädchen allein zurückblieb.
Doch nach wie vor läuft die Abschiebemaschine nicht reibungslos. Manche Herkunftsländer konnten trotz weitreichender Versprechungen oder Androhung von wirtschaftlichen Nachteilen noch immer nicht dazu gebracht werden, ihre Staatsangehörigen als solche anzuerkennen. Ständig werden Flugverbindungen in Bürgerkriegsgebiete gestrichen und wieder aufgenommen, ständig weigert sich der BGS aus Angst um die eigene Haut, dorthin zu fliegen. Manchmal, wie unlängst im Fall Guinea geschehen, weigern sich die Heimat-behörden, Heimreisepapiere ihrer eigenen Botschaft anzuerkennen. Und dann gibt es auch noch solche Menschen wie Abdallah (siehe Artikel unten), die lieber ein Jahr im Knast sitzen und bereit sind, alles zu tun, um ihre Abschiebung ins Herkunftsland zu verhindern. Schwierige Fälle für die Abschieber.
Mit ihren zahlreichen Direktverbindungen in nahezu alle Regionen der Welt kommt der Lufthansa im Abschiebegeschäft eine große Bedeutung zu. Doch nicht zuletzt angesichts der genannten Todesfälle, den damit verbundenen Protesten und Kritiken, die selbst bei Teilen des Lufthansapersonals geäußert werden, haben die zuständigen Behörden längst eine ganze Palette von Abschiebeoptionen entwickelt, die zudem besser dem erwarteten Widerstandsverhalten der sogenannten »Deportees« angepasst sind. Etwa 90 Prozent der Abgeschobenen in Linienmaschinen fliegt nach Angaben des BGS ohne Begleitung. Der BGS überwacht zwar den Einstieg ins Flugzeug, doch die betroffenen Personen werden als passiv eingeschätzt. Viele fliegen in der Tat insofern »freiwillig« mit, weil ihnen ansonsten nur die Fortsetzung der Abschiebehaft droht. Bei Lufthansaflügen dürfen aus Sicherheitsgründen dennoch maximal fünf unbegleitete »Deportees« im gleichen Flugzeug fliegen. Mit den als renitent oder gar potenziell gefährlich eingestuften Abzuschiebenden, nach offiziellen Zahlenangaben etwa zehn Prozent der Betroffenen, sind 1998 ca. 9000 Beamte mitgeflogen. Noch immer werden hierzu, wie bei den unbegleiteten Abschiebungen, auch Linienmaschinen der Lufthansa oder anderer großer Airlines genutzt. Doch immer häufiger chartern die Behörden Flugzeuge bei kleineren Gesellschaften oder Tochtergesellschaften der großen Airlines zu reinen Abschiebezwecken, in denen dann größere Gruppen von MigrantInnen mit einer entsprechenden Überzahl von BGS-Beamten abgeschoben werden. Solche Abschiebungen finden in der Regel unter Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit von den Frachtflugterminals der Flughäfen statt. Ein Beispiel unter vielen ist eine bundesweit koordinierte Abschiebung von ca. 60 nigerianischen Männern vom Münchner Flughafen im März 1999. Sie wurden gefesselt und in Begleitung von etwa 100 BGS-Beamten in einer Maschine der Caledonian Airlines nach Lagos geflogen. Zunehmend werden aber auch die Angebote jener Fluggesellschaften in Anspruch genommen, die ihr eigenes Sicherheitspersonal zur Verfügung stellen. Berüchtigtes Beispiel ist die staatliche rumänische Fluggesellschaft TAROM, die nach Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit der Grenzschutzdirektion Koblenz wöchentlich eine Sammelabschiebung ab Düsseldorf fliegt. Die Sicherheitsleute dieser Airline sind u.a. mit Elektroschockgeräten bewaffnet.
Immer häufiger werden in sog. »Rückübernahmeabkommen« die genauen Modalitäten der Abschiebung festgelegt. So bestimmt das deutsch-algerische Abkommen, dass Luftwegabschiebungen nur mittels Linienflügen stattfinden dürfen, die Anzahl auf 30 Personen pro Flug begrenzt sein muss und von »spezialisiertem Sicherheitspersonal« begleitet werden soll. Was recht abstrakt klingt, heißt ganz konkret, dass Abschiebungen ausschließlich mit der algerischen Fluggesellschaft Air Algerie ab Frankfurt/Main oder Berlin-Schönefeld stattfinden können und das »spezialisierte Sicherheitspersonal« immer von algerischer Seite gestellt wird. Der BGS weigert sich nämlich, nach Algerien zu fliegen. Die Auslieferung an die algerischen Behörden findet damit in der Praxis bereits auf deutschen Flughäfen statt.
Großes Kopfzerbrechen bereitet den Abschiebern die Tatsache, dass manchmal die Staatsangehörigkeit der Betroffenen nicht eindeutig festgestellt werden kann. Versuche, diese durch aufwendige Sprachanalysen nachzuweisen, scheiterten daran, dass die kolonialen Grenzziehungen, insbesondere in Afrika, eine einwandfreie Zuordnung einer Sprache zu einem Staat oft nicht erlauben. Deshalb sind einige europäische Staaten dazu übergegangen, Drittländer dafür zu bezahlen, fremde Staatsangehörige zu übernehmen und sich um die Weiterschiebung in deren mögliche Heimatstaaten zu kümmern. Besonders Ghana und die Elfenbeinküste bieten Europa ihre Gefängnisse und die Transitbereiche ihrer Flughäfen gegen Bares für eine Auslagerung der Abschiebehaft an. Versuche von Menschenrechtsorganisationen, das Schicksal einiger nach Ghana abgeschobener Personen ungeklärter Nationalität zu verfolgen, blieben ergebnislos. Die Spur der Abgeschobenen blieb im Dunklen und es besteht Anlass zur Befürchtung, dass sie in ghanaischen Gefängnissen inhaftiert oder ums Leben gekommen sind. Die Kampagne gegen die Lufthansa muss deshalb mit der Entwicklung von Widerstandsformen gegen andere Abschiebeformen einhergehen. Mag sein, dass oft keine Chancen zu sehen sind und das Ohnmachtsgefühl überhand nimmt. Aber es ist wichtig zu wissen, dass der Reibungsverlust innerhalb des Systems schon so groß ist, dass schon ein wenig Sand im Getriebe dazu führen kann, die Maschine kurzfristig lahm zu legen. Jede abgebrochene Einzelabschiebung, jeder boykottierte Botschaftstermin, jeder Sammel-transport, der halbleer fliegen muss, weil die vorgesehenen Passagiere nicht greifbar sind, wird ihnen Kopfschmerzen bereiten. Aber wie groß wären diese Kopf-schmerzen erst, wenn sich nach Sabena und Swissair schließlich auch Lufthansa weigern würde, Tickets für Abschiebungen zu verkaufen?
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