Protestaktionen während der Hauptversammlung 2001 der Lufthansa AG
in Köln

Ein märchenhafter Tag: : Menschenrechte kontra Ökonomie - Lufthansa muss sich neuen Herausforderungen stellen

An einem sonnigen Tag im Juni 2001. Das Rentnerehepaar Hans und Lise Müller hatte vor, sich einen schönen Tag in Köln zu machen. Zur Lufthansa-Aktionärsversammlung reisten sie extra aus Thüringen an, auch wenn die Aktien gerade nicht gut standen und die Frage war, ob man sich eigentlich solche Ausflüge überhaupt noch leisten könne. Dennoch, vieles sprach einfach dafür: das gute Essen, das einem von der Lufthansa in den Pausen geboten wurde, das Gefühl, zum Kreis der Besitzenden zu gehören und die Verlockung, nach dem Tagesprogramm am Rheinufer entlang promenieren zu können. Nicht zuletzt wollte man natürlich hautnah mitbekommen, was diejenigen, denen man das schwer verdiente Geld anvertraut hatte, eigentlich gedachten, gegen den stetigen Wertverlust desselben zu unternehmen. Trotz aller Verunsicherung bezüglich der wahren Interessen der Mächtigen und der scheinbar unberechenbaren Kräfte des Weltmarktes ist man guter Hoffnung.

Aber der Tag verläuft nicht so idyllisch wie geplant. Bereits an der Eingangstür der Köln-Arena stehen Stewardessen und Stewards und verteilen Plastiktüten, Zeitungen und Flyer zum Thema "deportation-class", die allgemein von den Besuchern gern entgegengenommen werden. Dann ein neugieriger Blick auf das Straßentheater, das immer wieder eine Szene mit der gleichen Botschaft wiederholt: "Ihr Verhalten kann Leben retten" - wie wichtig es sei, dass die Fluggäste sich einmischen, um Abschiebungen und Gewalt an Bord zu verhindern. Beim Einlass finden massive Kontrollen statt, sogar die persönlichen Utensilien in der Handtasche müssen präsentiert werden. Veranstalter und Angestellte wirken eher genervt. Heute ist kein guter Tag für sie, denn antirassistische Gruppen, die bereits seit mehr als einem Jahr gegen das "Geschäft mit den Abschiebungen" mobil machen, haben ihre Proteste angekündigt. Auf ihre Forderung, keine Flüchtlinge mehr aus Deutschland abzuschieben, gibt es bislang keine Antwort. Zwar ist immer wieder ist die Rede von Gesprächen mit der Bundesregierung über den Ausstieg aus der sogenannten "Beförderungspflicht". Tatsache ist aber: Weiterhin werden täglich Flüchtlinge in Flugzeugen der Lufthansa aus Deutschland abgeschoben.

Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Klaus G. Schwede, kündigt bereits in der Eingangsrede an, dass jede Stellungnahme zum Thema "Abschiebungen" sofort per Stromversorgung unterbrochen werden wird. Er maßregelt ausdrücklich alle diejenigen, die bereit sind, "kriminelle Gruppen" zu unterstützen. In diesem Moment enthüllen die gerade Genannten vor der Rednertribüne ein Transparent gegen die "deportation.class". Die Stimmung im Saal ist gespannt. Vorstandsvorsitzender Jürgen Weber fordert über das Mikrophon die Security auf, die "Störer" aus dem Saal zu befördern. Mit jedem neuen Transparent, das im Saal auftaucht, steigern die Security-Leute ihren "Jagdtrieb" und greifen immer härter zu. Unruhig laufen sie in den Seitengängen hin und her, um potentielle "Störer" schon im Vorfeld dingfest zu machen. Bei den letzten Aktionen fühlen sich einige Aktionärinnen in einem seltsam deutschtümelnden Verständnis von Courage dazu berufen, selbst aktiv zu werden und den AktivistInnen eigenmächtig das Transparent aus der Hand zu reißen.

Hans und Lise Müller aus Thüringen sind entsetzt. So hatten sie den "wilden Westen" noch nicht erlebt. Kapitalismus - ja das war gut, aber die Meinungs- und Redefreiheit war ihnen doch als ein verbürgtes Grundrecht angepriesen worden. Ein Aktionär kritisiert in seiner Rede, dass allen Besuchern beim Eintritt das Informationsmaterial über die "deportation.class" abgenommen worden sei. Eine Reporterin des Fernsehsenders n-tv hatte sich bereits über den schikanösen Umgang mit der Presse beschwert. Dabei konnte die Wichtigkeit der gestellten Forderungen nach Meinung der Müllers nicht einfach von der Hand gewiesen werden.

Ähnlich argumentieren am Nachmittag die als Aktionäre auftretenden Sprecherinnen und Sprecher der Kampagne "kein mensch ist illegal". Nachdem eine kritische Stellungnahme abgewürgt worden war, haben die Veranstalter zumindest soviel Respekt, den ehemaligen Zwangsarbeiter Jan Matusiak, der sich während der Nazi-Zeit im Berliner Werk der Lufthansa bei einem Unfall schwere Verletzungen zugezogen hat, ausreden zu lassen. In einer weiteren Rede wird Entschädigung für die Angehörigen von Aamir Ageeb gefordert.

Angesichts so viel dokumentierter, von der Lufthansa zu verantwortender Unmenschlichkeit muss es nicht wundern, dass auch die Geschäfte des Konzerns schlecht laufen. Mit einer online-Demonstration gelingt es an diesem Morgen, die Webseite der Lufthansa so zu blockieren, dass 10 Minuten lang ein Zugriff auf die Seite nicht möglich war, wie Martin Rieker von der LH gegenüber der Presseagentur ap bestätigt. Vielleicht führt dies ja in den Chefetagen zu einem Nachdenken über "moral economy", anstatt weiterhin nur über die vermeintlichen Heilkräfte der "new economy" zu spekulieren. Hans und Lise Müller jedenfalls sitzen gedankenverloren auf der Bank vor der Köln-Arena und verstehen die Welt nicht mehr - oder vielleicht doch ein bisschen besser als zuvor ("mer wes et nit"): Der Aktienstand erreicht an diesem Tag den absoluten Tiefstand des Jahres. (Jahresdurchschnitt: 27,5; tiefster Stand in diesem Jahr: 18,9; heutiger Stand: 18,8)

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