|
Lufthansas Prozesse bringen das Abschiebegeschäft in die Öffentlichkeit
Das Image der Lufthansa ist angekratzt, ein Erfolg der kreativen Aktionen,
mit denen die Kampagne "deportation.class" gegen das Abschiebegeschäft der
Fluglinie mobil gemacht hat
Jährlich werden 10.000 Flüchtlinge mit Linienmaschinen der Deutschen
Lufthansa AG abgeschoben š ein unsauberes Geschäft, das lange Zeit im
Verborgenen ablief. Seit etwa zwei Jahren ist das anders, denn die
Image-Verschmutzungskampagne "deportation.class", die "kein mensch ist
illegal" 1999 startete, war ungewöhnlich erfolgreich. Zahlreiche
Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsgruppen, Künstler/innen und
Internet-Aktivist/innen haben sich ihr angeschlossen. Auch die
Pilotenvereinigung Cockpit und die ÖTV wandten sich an Lufthansa und
forderten ihre Mitglieder auf, sich nicht an den Zwangsabschiebungen zu
beteiligen. Die Kampagnen-Logos prangen mittlerweile auf zahlreichen
Aufklebern, Plakaten und Plastiktüten, die Proteste gegen das
Abschiebegeschäft sind zu einem festen Bestandteil in den Berichten über
die Lufthansa-Aktionärsversammlungen geworden, im Kino laufen Trailer der
Kampagne, es gibt Filmdokumentationen, und immer wieder finden zahlreiche
und vielfältige Aktionen in ganz Europa statt.
Demo im Internet
Im März 2001 rief Libertad gemeinsam mit "kein mensch ist illegal" dazu
auf, mit einer Online-Demonstration gegen die Abschiebungen der Deutschen
Lufthansa AG zu protestieren. Dabei sollte die Lufthansa-Homepage während
der Aktionärsversammlung der Fluglinie für zwei Stunden blockiert werden.
Mehr als 150 Gruppen, darunter auch Gewerkschaften und NGOs, schlossen sich
dem Aufruf und der breiten, inzwischen internationalen Kritik an der
Abschiebepraxis an. Schon vor Beginn der Online-Demonstration erreichte die
"deportation.class"-Kampagne ein breites Medienecho. Am 20. Juni 2001
trugen dann mehr als 13.000 Teilnehmer/innen mit millionenfachen Zugriffen
auf die Internetpräsenz des Konzerns zum Erfolg der Protestaktion bei. Der
Lufthansa-Server war š obwohl er zuvor mit reichlich Zusatzkapazitäten
ausgestattet worden war š so ausgelastet, dass er während der
Internetblockade zeitweise nicht erreichbar war und keine Flugtickets mehr
gebucht werden konnten.
Lufthansa im Angriffsflug
Die gewitzten und unkonventionellen Mittel der "deportation.class"-Kampagne
kratzen erfolgreich am Image der Lufthansa. Die Fluggesellschaft will aber
auf das lukrative Geschäft nicht verzichten und erklärte, sich weiterhin an
den zum Teil tödlichen Abschiebungen zu beteiligen. Mit Anzeigen und
Strafandrohungen will sie sich den Dorn in ihrem Auge, zu dem die Kampagne
zweifelsohne geworden ist, entfernen š bisher erfolglos.
Stellvertretend für die Abschiebegegner/innen wurde die Berliner
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration e.V. (FFM) wegen einer
"deportation.class"-Plakatausstellung unter Druck gesetzt, die im Internet
zu sehen ist. Seit Mai 2001 versucht die Lufthansa dem antirassistischen
Verein per Einstweiliger Verfügung den Betrieb der
"Deportation-class"-Sites zu verbieten. Für die Zuwiderhandlung drohte der
Konzern mit einem Ordnungsgeld von einer halben Million Mark. Die
Einstweilige Verfügung wurde nun auch in zweiter Instanz vor dem
Oberlandesgericht in Frankfurt/Main abgelehnt, weil die FFM glaubhaft
machen konnte, dass sie weder die inkriminierten Seiten betreibt noch
Einfluss auf deren Gestaltung hat.
Klage gegen Künstler
Ein mit Abstürzender-Kranich-Logo und
"Lufttransa-Deportation-Class"-Schriftzug verzierter Kleinbus war ein
weiteres juristisches Ziel der Lufthansa. Der Bus war Teil eines
Künstlerprojektes und wurde bei zahlreichen antirassistischen Aktionen im
Rhein/Main-Gebiet und am Frankfurter Flughafen eingesetzt. Auch in diesem
Fall hat das Frankfurter Landgericht im Februar 2002 alle Teile einer
Verfügung aufgehoben, mit der Lufthansa die Nutzung des Busses im
öffentlichen Raum hat untersagen lassen. Die Abschiebegegner/innen ließen
sich durch die Maßnahmen der Lufthansa nicht einschüchtern oder gar mundtot
machen. Auch der Umstand, dass Lufthansas Klagen weitgehend erfolglos
blieben, gibt der Kampagne neuen Aufschwung. Der Deportation-Class-Bus wird
demnächst bundesweit als Teil von politisch-künstlerischen Performances
unterwegs sein.
Hausdurchsuchung nach Online-Demo
Auch gegen die von der Medienöffentlichkeit mit großem Interesse verfolgte
Online-Demo stellte Lufthansa eine Anzeige. Die Staatsanwaltschaft wertet
den Aufruf zum Internetprotest als Nötigung und leitete ein
Ermittlungsverfahren gegen den Domain-Inhaber der Initiative Libertad ein,
auf deren Internetpräsenz ein Aufruf veröffentlicht und über die
Online-Demo informiert wurde. Die Staatsanwaltschaft ließ im Oktober 2001
die Tür des Frankfurter Dritte-Welt-Hauses einschlagen, das dort ansässige
Büro von Libertad und von anderen Initiativen sowie die Wohnung des
eingetragenen Domain-Inhabers vom Staatsschutz aufbrechen und sämtliche
Rechner, Festplatten und andere Speichermedien beschlagnahmen. Da es
unstrittig ist, dass Libertad auf Papier und elektronisch zu der
Protestaktion aufgerufen hatte, kann hinter der Beschlagnahme nur die
Absicht stecken, Libertad wirtschaftlich zu schaden und die technische
Arbeitsgrundlage zu entziehen.
Bevorstehender Prozess
Die unmittelbar öffentlich geäußerte Solidarität zahlreicher Gruppen und
Einzelpersonen verhinderte bisher eine Ausweitung der Kriminalisierung auf
andere Aufrufer/innen und potenzielle Teilnehmer/innen. Die Online-Demo
wird mit Sicherheit ein prozessuales Nachspiel haben. Bis dahin wird es
aller Voraussicht nach noch etwas dauern. Bisher wurde den Anwälten die
Akteneinsicht verweigert. Der Prozess wird erneut das schmutzige Geschäft
der Lufthansa in die Öffentlichkeit bringen. Aufgrund der neuen Aktionsform
und des Präzedenzcharakters des Prozesses wird er große Aufmerksamkeit auf
sich ziehen und ebenso öffentlichkeitswirksam sein wie die Online-Demo
selbst. Die "deportation.class"-Kampagne kann š egal, wie der Richterspruch
ausfallen wird š nur gewinnen. Im Prozess wird es aber um mehr gehen als um
die Kampagne gegen Abschiebungen. Es geht um die mit der Online-Demo zum
ersten Mal in der BRD praktizierte Aktionsform eines virtuellen Sit-in, um
Netzaktivismus, die Zukunft von Protest im Netz und um die
Demonstrationsfreiheit im öffentlichen Internet, dem Ort, an den viele
Konzerne in Zukunft mehr und mehr ihre Geschäfte verlagern werden.
|