Samson Chukwu: augenauf verlangt stopp von zwangsausschaffungen
18.May.01 - Pressemitteilung - Mit Empörung hat die Menschenrechtsguppe augenauf vom Tod des Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu im Wallis Kenntnis genommen. Ohne dem Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung vorgreifen zu wollen, kann heute schon festgehalten werden: Samson Chukwu starb, weil die Behörden von Bund und Kantonen sich auch zwei Jahre nach der Tötung von Khaled Abuzarifa weigern, die mörderischen Ausschaffungsmethoden zu überprüfen.
Zum Sachverhalt
Am Morgen des 1. Mai um 2 Uhr stürmten zwei Beamte der "unité spéciale d'intervention" - für Antiterroreinsätze geschulte Beamte der Walliser Kantonspolizei - die Zelle des schlafenden Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu. Gemäss Aussagen der Beamten wurde das Opfer auf den Boden gedrückt. Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. Es ist anzunehmen, dass Samson Chukwu zu diesem Zeitpunkt bäuchlings auf der Pritsche oder am Boden lag. Eine Stunde später, um 3 Uhr, stellte ein Arzt den Tod von Samson Chukwu fest.
Samson Chukwu sollte zusammen mit zwei anderen Nigerianern am Morgen um 7 Uhr mit einer vom Bundesamt für Flüchtlinge gecharterten Maschine nach Lagos ausgeflogen werden. Gemäss den uns vorliegenden Erkenntnissen ist im Moment einzig das Berner Charterflugunternehmen "Sky Work" bereit, ihre Lear-Jets für solche Zwangsausschaffungen zur Verfügung zu stellen. Der Jet flog am Morgen des 1. Mai ohne Samson Chukwu nach Lagos.
Bekannt ist ausserdem, dass die Behörden bei einer Ausschaffung mit Charterflugzeugen - sie werden amtsintern mit dem Codewort "Level 4" bezeichnet - äussserst brutal vorgehen. Die Häftlinge werden gefesselt, in Overalls gehüllt, mit einem Sparringhelm am Schreien gehindert und in dieser Stellung auf die Flugsessel geschnallt. Im Passagierbereich der Flugzeuge halten sich auf diesen Flügen einzig Kantonspolizisten auf.
Ebenso bekannt ist, dass die Behörden beim Herausholen von Level-4-Gefangenen aus den Zellen mit grösster Härte vorgehen. Allfälliger Widerstand soll im Keime zu erstickt werden, um den teuren Charterflug nicht zu gefährden. Die Rundschau dokumentierte im November des letzten Jahres die Aussschaffung eines Kameruners, der von vermummten Antiterroreinheiten der Zürcher Kantonspolizei morgens um 4 Uhr aus der Zelle im Flughafengefängnis in Kloten herausgeholt worden ist. Die Öffentlichkeit war schockiert über die entsprechenden Bilder.
Zur "Positional Asphyxia"
Aus der Literatur ist bekannt, dass es bei Verhaftungen und der ‹berwältigung von Personen durch die Polizei immer wiederholt zu Todesfällen kommen kann, wenn die körperlich und physisch stark erregten Personen in Bauchlage mit hinter dem Rücken gefesselten Armen festgehalten werden. Dieser Tod ist in Polizei- und Ärztekreisen unter dem Titel "positional asphyxia" oder "Plötzlicher Gewahrsamstod" bekannt. Im Zusammenhang mit dem Tod von Khaled Abuzarifa wurde dieses Problem öffentlich diskutiert. Der Autopsiebericht von Professor Bär hält fest, dass beim Tod von Khaled Abuzarifa wegen der bei ihm angewandten Fesselung "auch Phänomene wie sie bei der sog. 'positional asphyxia' beschrieben werden, mitgespielt haben". In Deutschland werden Polizisten speziell geschult, damit es bei Verhaftungen nicht zu solchen Todesfällen kommt. In einem Grundsatzartikel im Fachblatt "Polizeitrainer Magazin" hat der Heidelberger Professor Ingo Pedall "Empfehlungen zur Verhinderung des plötzlichen Gewahrsamstodes" formuliert. Pedall stellt folgende Merksätze für das Vorgehen bei Verhaftungen auf: 1. polizeiliche Zurückhaltung, nicht beherztes Vorgehen ist angzeigt; 2. Ein Team aus zwei Beamten ist mit der Situation immer überfordert; 3. Jedes ‹bermass der Fixierung muss vermieden werden; 4. Jedes plötzliche Aufhören des Widerstandes ist ein Alarmzeichen; 5. Die Vitalfunktionen sind fortlaufend zu beobachten.
Unsere Fragen
Aus dem Gesagten drängen sich Fragen auf: ï Wieso wurden Mitglieder der Antiterroreinheit der Walliser Polizei eingesetzt, um Samson Chukwu aus seiner Zelle zu holen? ï Waren die Beamten vermummt, als sie die Zelle von Samson Chukwu stürmten? ï Lag Samson Chukwu, nachdem er überwältigt und gefesselt worden war, bäuchlings in der Zelle? ï Was geschah am 1. Mai zwischen 2 und 3 Uhr in der Zelle von Samson Chukwu?
Samson Chukwu würde noch leben, wenn die Behörden nicht versucht hätten, ihn mit aller Gewalt nach Lagos auszuschaffen. Samson Chukwu würde noch leben, wenn die Behörden nach dem Tod von Khaled Abuzarifa am 3. März 1999 ihre Verantwortung anerkannt und Konsequenzen gezogen hätten.
Die Reaktion der Behörden auf den Tod von Samson Chukwu legt den Verdacht nahe, dass auch der zweite tote Ausschaffungshäftling nicht zum Anlass genommen wird, das Ausschaffungsverfahren zu überprüfen. Wie es ihre Berner KollegInnen im Fall von Khaled Abuzarifa getan haben, versuchen die Walliser Behörden heute, den toten Chukwu als Drogendealer zu verunglimpfen. Wie im Fall von Khaled Abuzarifa wird über Herzfehler oder Geburtsschäden gerätselt, anstatt die naheliegenden Fragen nach dem Einsatz staatlicher Gewalt bei Zwangsausschaffungen zu stellen. Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden in den anderen Kantonen und in Bern, dass für den Tod von Samson Chukwu allein die zuständige Kantonspolizei zuständig sei. Wie im Fall von Khaled Abuzarifa behaupten die Behörden, dass man die Ergebnisse der gerichtlichen Untersuchung abwarten müsse, bis über mögliche Massnahmen diskutiert werde könne.
Dieser St.-Florians-Politik muss Einhalt geboten werden. Nach dem Tod von Samson Chukwu sind sämtliche Zwangsausschaffungen sofort zu stoppen. Eine unabhängige Untersuchungskommission unter Beizug von MenschenrechtsexpertInnen und AntifolterspezialistInnen muss das Ausschaffungsprozedere überprüfen. Der Ball liegt bei Bundesrätin Ruth Metzler und beim Präsidenten der kantonalen Justiz- undPolizeidirektorenkonferenz, dem Solothurner Regierungsrat Rolf Ritschard.
"Wer schweigt macht sich mitschuldig".
Zürich, 9. Mai 2001 / augenauf
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