Multitudales Camping - eine Straßburg-Auswertung
We went to the No-Border-camp this year, we're not sure if will go there next year...
16.Sep.02 - Dieser Text stammt von einem größeren Zusammenhang aus Tübingen. Wir sind hauptsächlich in antirassistischen Gruppen aktiv, und in Gruppen, die sich als Teil der (Anti-)Globalisierungsbewegungen verstehen. Die meisten von uns waren die ganze Zeit auf dem Camp, einige nur für ein paar Tage, und einige sind frühzeitig gegangen, weil sie "es nicht länger ausgehalten haben". Migranten, die zum ersten Mal mit uns auf ein >=Grenzcamp„ gekommen sind, sind übrigens bezeichnenderweise auch bereits früher wieder gefahren... An der Vorbereitung des Strasbourger Camps waren wir nicht beteiligt, kennen die Diskussionen im Vorfeld nur teilweise und indirekt.
Wir finden es wichtig, dass die verschiedenen Erfahrungen dieses Camps festgehalten werden und daraus für die Zukunft (sowohl solcher Camps als auch radikaler politischer sozialer Bewegungen im allgemeinen) gelernt werden kann. Deshalb sind hier neben allgemeineren Anmerkungen auch konkrete Vorschläge aufgeführt, was unserer Meinung nach besser gewesen wäre bzw. was in Zukunft anders gemacht werden sollte. Es fällt schwer die vielen Erlebnisse und Eindrücke zu beschreiben und wiederzugeben und daraus exakte Schlüsse zu ziehen. Wir wollen es bei einigen Punkten versuchen, und hoffen darauf, dass andere Gruppen und Personen ebenfalls ihre Erfahrungen mitteilen und dadurch eine detaillierte, weiterführende Evaluation dieses Camps gelingt [1].
Auch möchten wir mit den folgenden Darstellungen nicht den Eindruck erwecken, das Camp wäre unserer Meinung nach ein Misserfolg gewesen, auch wenn wir im folgenden v.a. auf die uns negativ aufgefallenen Ereignisse, Strukturen, verpassten Möglichkeiten,... eingehen werden.
Allgemeines Fazit
Dass das Camp überhaupt stattgefunden hat, sehen wir als Erfolg an:
Mehr als 2000 Menschen aus verschiedenen Ländern; eine große Vielfalt an politischen Ausdrucksformen und Theorieansätzen; viele interessante inhaltliche Veranstaltungen; wichtige Anstöße für die eigene politische Arbeit; andere Gruppen und Personen kennen lernen, Kontakte knüpfen... Im Idealfall hätte aus der Fusion verschiedener Ausdrucksformen auf dem Camp auch unmittelbar etwas Neues entstehen können, aber dafür war die Zeit wohl zu kurz. Was über das Camp hinaus wirkt und entsteht kann hier und jetzt nicht gesagt werden (außer der unmittelbaren Beschäftigung mit der erlebten Repression...). Bei einer Kommunikationstheorie-Veranstaltung sprach eine Frau davon, dass das Camp eine Art 'großes Archiv' darstellt. In diesem Sinne hat das Camp in Strasbourg ansatzweise das gezeigt, was gemeinhin als Diffusität/Heterogenität der Antiglobalisierungsbewegung' bezeichnet wird, mit allen Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen.
Ganz konkret abgebildet haben sich negative Aspekte dieser Diffusität aber in Teilen der Campstruktur, im Verlauf einzelner Diskussionen, und vor allem auch bei den Aktionen. Was sich dort im einzelnen offen oder unterschwellig zeigte (Sexismus und Umgang mit Sexismus; patriarchalisches Verhalten; Rassismus; antisemitische Ressentiments;...) benötigt dringend der Analyse, Diskussion und Auseinandersetzung. Insofern hat das Camp auch deutlich gemacht, wo es in und zwischen den Gruppen und Bewegungen (immer noch, schon wieder und endlich mal!) Auseinandersetzungen um den Umgang miteinander, um politische Inhalte, um Taktik und Strategien zu führen gilt. Insgesamt haben wir diese 'Diffusität' auf dem Camp als Konzeptlosigkeit erlebt, die mit zunehmender Dauer des Camps stärker zu Tage getreten ist und zu Schwierigkeiten geführt hat. Wir sind froh, dass es entgegen zwischenzeitlicher Befürchtungen nicht zu schlimmeren Vorfällen gekommen ist (tatsächlicher Übergriff auf die Synagoge; Angriff der Polizei/Räumung des Camps; Aktionen, die die zukünftige Arbeit der Strasbourger Gruppen vor Ort noch mehr erschwert hätten; 'schlimmere' sexistische, homophobe oder rassistische Vorfälle/ Übergriffe;...).
Grundausrichtung des Camps
Wenn Anspruch und Ziel des Camps vorher klar(er) gewesen wären, hätten einige Diskussionen nicht geführt werden müssen und einige Missverständnisse hätten vermieden werden können. Ein klares Konzept hat gefehlt, das Camp war für die einen Sommeruniversität, für die anderen Aktionscamp, für noch andere autonomes Urlaubscamp, und für wieder andere ein großes soziales Experiment. Tatsächlich war es alles und noch viel mehr (was sich auch nicht voneinander trennen lässt) aber eine bessere Abstimmung dieser Grundausrichtungen hätte einige Probleme verhindert oder zumindest den Ablauf des Camps erleichtert.
Bereits die Einstellungen und Herangehensweisen bzgl. praktischer/struktureller Fragen gingen teilweise weit auseinander (z.B. 'Selbstorganisations-Hardliner'; Ablehnung der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Medien; Bertha-Konzept; Umgang mit Sexismus/Rassismus;...), was in der Dynamik des anlaufenden Camps zu Beginn schwer zu durchschauen war und zu viel Diskussion und auch Arbeit geführt hat (Klos organisieren, Medienarbeit organisieren; Bertha-Struktur; Anlaufstelle für Opfer von sexistischen, rassistischen, homophoben, etc. Übergriffen;...). Verbunden mit den parallel bereits anlaufenden Aktionen (und v.a. der sich dort sofort ergebenden Repressionsdynamik) und den verschiedensten inhaltlichen Veranstaltungen hat dies, zumindest bei uns dazu geführt, sich auf einzelne Aspekte konzentrieren zu müssen. Deshalb haben wir TübingerInnen zu Beginn u.a. Klos gebaut, uns in die Diskussion um Bertha und 'innere Sicherheit' eingemischt, uns also mit um die Infrastruktur gekümmert, was uns sehr viel Zeit und Energie gekostet hat, statt Aktionen zu machen (bzw. uns auch bei deren Vorbereitung zu beteiligen) und mehr an Veranstaltungen teilzunehmen,. Im nachhinein wäre es vermutlich sinnvoller gewesen, wenn sich zu Beginn alle nur um die Einrichtung der gesamten Infrastruktur gekümmert hätten, bis diese funktioniert hätte, und erst dann schrittweise mit Aktionen begonnen worden wäre (siehe dazu mehr unter Aktionen).
Camporganisation und Infrastruktur
Die Infrastruktur war zu Beginn des Camps nicht tragfähig (dies ist eine Feststellung, kein Vorwurf an die Vorbereitungsgruppe). Es war viel Arbeit notwendig, um Bertha/Campschutz, Klos, Küchen(dienste), Informationsstruktur (Infofluß, Pressegruppe),... funktionsfähig zu bekommen, tatsächlich haben wir auch den Eindruck, dass sich v.a. einzelne Personen und Kleingruppen um diese 'reproduktiven Arbeiten' gekümmert haben, während andere es vorgezogen haben, sofort auf Aktionen oder Veranstaltungen zu gehen. In diesem Zusammenhang und auch was inhaltliche und strategische Überlegungen angeht, hat sich erneut gezeigt, dass bereits vorhandene Bezugsgruppen Aufgaben schneller und einfacher übernehmen konnten.
Die Lage der 'kollektiven Strukturen' (Radio, Indymedia, Infozelt,...) am Eingang des Camps, in größerer Entfernung zu den Barrios hat unserer Meinung eher zu einer Trennung zwischen Camp und diesen Strukturen geführt, hat die Institutionalisierung verstärkt, die Konsumhaltung gefördert und sich nachteilig auf die Kommunikation zwischen allen Strukturen ausgewirkt.
Barrios
Die Aufteilung des Gesamtcamps in Barrios war sinnvoll, allerdings waren verschiedene Strukturen und Denkweisen noch zu arg an bisher üblichen kleineren Camps orientiert: Insgesamt war das Camp eher ein Dorf bzw. eine 'Kleinstadt', die anders funktioniert (z.B. hinsichtlich Kommunikation und Infoaustausch). Für eine solche Größe ist eine bessere Struktur und ein klares Konzept nötig, und eine andere Herangehensweise aller TeilnehmerInnen (z.B. mehr Selbstreflexion was interne Dynamiken,... angeht). Die Barrioplena waren meist lang und zäh, außerdem hatten wir den Eindruck, dass ein ziemlich großer Teil von Leuten nicht an den Barrio-Plena teilgenommen hat. Das kann daran liegen, dass Leute abgeschreckt wurden, da die Plena ermüdend waren, aber sicher zum Teil auch daran, dass einzelne einfach auch keine Lust haben sich an internen Strukturen und Diskussionen zu beteiligen. Wir haben einerseits eine gewisse Konsumhaltung festgestellt, der u.U. mit einer Erhöhung der Verbindlichkeit entgegnet werden könnte, andererseits könnten auch andere Diskussionsformen und eine bessere Strukturierung der Plena hilfreich sein, um den negativen Effekten großer Plena entgegenzuwirken [2].
Jedenfalls hat die Auslagerung von einzelnen Aufgabenbereichen (Toiletten) geholfen, die Barrioplena zu entlasten, wodurch es auch eher möglich wurde, inhaltliche Diskussionen zu führen, statt sich nur über Infrastruktur zu unterhalten.
Gegen Ende des Camps hatten wir den Eindruck, dass sich die gesamte Struktur zunehmend in informellere Gruppen auflöst. Wir selbst haben uns auch ziemlich bald als größere Bezugs-/Städtegruppe verstanden und nur noch Delegierte auf unser Barrioplenum geschickt. Das hat für uns selbst einen enormen Zeitgewinn bedeutet, andererseits hat es den allgemeinen Eindruck verstärkt, dass am Barrioplenum nicht viele teilnehmen, und die Herausbildung informeller Strukturen verstärkt.
Campgesamtplenum/ general assembly
Dass am Donnerstag zu einer Vollversammlung (general assembly) aufgerufen wurde war dringend notwendig. Zum ersten Mal wurden hierbei in größerem Rahmen barrioübergreifend von vielen Personen für viele Personen Meinungen und Stimmungen geäußert und erfahrbar gemacht(großes Stimmungsbild). Obwohl auch dieses Treffen lang und ermüdend war, hat es die Wichtigkeit dieser Form von Austausch deutlich gemacht. Wir halten solche großen Versammlungen aus diesem Grund für eine zentrale Struktur, nicht um Entscheidungen zu fällen, sondern um Informationen auszutauschen, Gerüchte zu widerlegen, ein 'allgemeines Stimmungsbild' einzufangen, Anonymität zu überwinden. Für zukünftige Camps schlagen wir vor, solche Vollversammlungen/Gesamtplena fest einzuplanen, beispielsweise wie beim Camp in Frankfurt zu Beginn, Mitte und Ende des Camps, oder zumindest dann sofort einzuberufen, wenn die Notwendigkeit entsteht. Für ein Gesamtplenum ist dann aber auch eine gute Anlage, Moderation und Übersetzung (Übersetzungsecken) wichtig.
Generell denken wir, dass in Zukunft mehr Zeit darauf verwendet werden sollte, die internen Strukturen gemeinsam aufzubauen, bis sie richtig funktionieren, bevor mit Aktionen begonnen wird. Damit könnte auch einer Trennung in 'reproduktive Arbeit' und 'Aktivismus' entgegengewirkt werden. Außerdem ist mehr Verbindlichkeit von einzelnen Personen und Gruppen notwendig, die bereit sind Dinge in die hand zu nehmen (Klos bauen, Anlaufstelle einrichten,...)
Informationsfluß und Kommunikation im Camp
Es gab zu viele Gerüchte, zu wenig klare Absprachen und eindeutige Informationen. Die verschiedenen Infowände (Infozelt, Aktionszelt, Barrioinfozelte) haben unserer Erfahrung nach nicht zu Transparenz geführt, sondern eher zu Verwirrung, da oft nicht klar war, wo welche Information zu finden ist. Eine einzige große übersichtliche Infowand mit viel Platz zum eintragen von allen Treffen, Veranstaltungen und Aktionen, zentral in der Mitte des Camps gelegen, wäre besser gewesen als mehrere kleine Infowände.
Anderseits bleibt die Frage, ob bei der Größe eines solchen Camps eine zentrale Infowand noch ausreicht, oder ob nicht zusätzlich andere Formen der Vermittlung notwendig sind. Teilweise hat das ja auch stattgefunden, indem Leute beispielsweise mit Soundsystem ihre Veranstaltung auf dem ganzen Camp angekündigt haben. Denkt man ein Camp dieser Größe als Dorf/Kleinstadt, statt als Camp im bisherigen Sinne, dann kommen auch andere direkte Formen der Kommunikation und Vermittlung in Betracht, wie beispielsweise die Demonstration der Küchen oder die Plakate und Transparente gegen Sexismus und Patriarchat gezeigt haben. Ebenso ist es dann auch schon wieder denkbar und sinnvoll für die Meinungsbildung auf dem Camp Flugblätter zu verteilen (was auch hinsichtlich der politischen Differenzen tatsächlich eine Möglichkeit gewesen wäre, campinterne Diskussionen anzustoßen bzw. Dinge breiter zu thematisieren). Vielleicht wäre dadurch auch transparenter geworden, wer zu einer Aktion aufruft, anstatt dass lediglich der Treffpunkt für eine Demo auf einer Infowand steht, ohne dass Art der Demo oder Stand der Vorbereitungen bekannt sind und niemand ansprechbar ist.
Bertha/Campschutz - Anlaufstelle
Die ursprünglichen Aufgaben von Bertha waren zu umfangreich und unangemessen. Erschreckt hat uns, dass der bürgerliche Diskurs um 'Innere Sicherheit und Sauberkeit' sich plötzlich auch in unseren Zusammenhängen zeigt, indem außer dem Wachschutz/Schutz nach Außen auch noch die Lösung interner Konflikte und die Beobachtung der Zustände im Camp zur Aufgabe erklärt wurden. Für die Zukunft fordern wir von Anfang an eine klare Trennung von Campschutz (Tag/Nachtwachen) und Anlaufstelle für sexistische, homophobe, rassistische, sonstige Vorfälle/Übergriffe auf der anderen Seite (3). Für "Ordnung und angemessenes Verhalten" im Camp sollen sich jedoch weiterhin alle zuständig fühlen!
Aktionen
Wir denken, dass zu früh mit Aktionen begonnen wurde (s.o.), ein strategisches Gesamtkonzept gefehlt hat sowie die Kommunikationsstrukturen im Camp nicht ausreichend war, um Aktionen in dieser kurzen Zeit gut vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten bzw. mit den Folgen (Repression) angemessen umzugehen. Es gab es keinen Rahmen, in dem die vorhandene Aktionsautonomie sinnvoll umgesetzt werden konnte; oft waren die genauen Ziele der Aktionen unklar bzw. verschiedene Personen verfolgten verschiedene Ziele mit verschiedenen Mitteln, wobei die Vermittlung nach Innen und Außen auf der Strecke blieb. Wiederholt entstand auf Aktionen bei uns nur der Eindruck blinden Aktionismus und reiner Identitätspolitik (vermeintlicher 'Black Bloc'). Zu wenig wurden die Interessen und die Wahl der Mittel lokaler Gruppen und von Flüchtlingen/MigrantInnen berücksichtigt, zu viel StellvertreterInnenpolitik gemacht, in verantwortungsloser Weise die Situation von Flüchtlingen/Sans Papiers auf Aktionen und auf dem Camp nicht bedacht.
Das vorhandene Potential an kreativen, vielfältigen aber auch durchsetzungs-fähigen Aktionsformen und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben hätten wurden verschenkt. Statt am Ende nur noch 'nette, bunte' Aktionen zu machen, um den Imageschaden aufzufangen, hätten zu Beginn vielfältige, kreative, leicht vermittelbare und wenig konfrontative Aktionen stattfinden können, und zum Abschluß eine bunte und kraftvolle Abschlußdemonstration.
Ein mit unseren zentralen Inhalten aufgeladener, nach außen vermittelbarer Punkt der Konfrontation hat gefehlt. So hätte das SIS von Anfang an im Mittelpunkt stehen sollen, bevor durch andere schlecht vorbereitete und schlecht durchdachte Aktionen der Handlungsspielraum eingeschränkt war.
Die Demonstrationen am Montag und Mittwoch waren schlecht vorbereitet (bzw. wurden in kürzester Zeit vorbereitet), klare Verantwortlichkeiten und Absprachen bzgl. Route, Redebeiträge, Ziel, mögliche Aktionen während der Demo haben gefehlt. Die Demo/Aktion am Dienstag schien besser vorbereitet zu sein. Während es in den ersten Tagen noch möglich war, eigene Akzente zu setzen und die Aktionen zumindest durchgeführt werden konnten, war nach der Demo am Mittwoch eigentlich nur noch Imagepflege angesagt.
Die Demo am Mittwoch stellte die extremste Auswirkung des Mangels an Konzept, Vorbereitung und Kommunikation dar: Ohne klares Ziel und Konzept, ohne Route, ohne Vermittlung von Inhalten, dominiert von einer größeren Gruppe Sprühender und einem kleinen, dafür optisch sehr auffälligen 'Black Bloc', die der ganzen Demo ihren Stempel aufgedrückt haben, ohne das es irgendwelche Absprachen über das Demokonzept gegeben hätte... Wahllos wurden alle Gebäude besprüht, gegen später auch Schilder und Scheiben zerstört. Dass es an der Synagoge nicht zu Sprühereien kam, ist einigen Leuten in der Demo zu verdanken, warum überhaupt an der Synagoge vorbeigelaufen wurde (danach war nur reines Wohngebiet) ist uns unklar geblieben...
Medien-/ Öffentlichkeitsarbeit
Wir sind froh, dass in der zweiten Hälfte des Camps eine Gruppe die Medienarbeit übernommen hat. Dass vorher eine schwache und dogmatische Öffentlichkeitsarbeit lief ('mit den bürgerlichen Medien reden wir nicht'), halten wir für politisch falsch und auch für unverantwortlich, da eine offensive Öffentlichkeitsarbeit auch immer einen gewissen Schutz darstellt. Einen Schutz hauptsächlich für die anwesenden MigrantInnen, Sans Papiers/Illegale und Kinder! Tatsächlich sehen wir hier auch gewisse Versäumnisse der Vorbereitungsgruppe. Unserer Meinung nach wäre es eine zentrale Aufgabe gewesen, sich nicht nur auf 'unsere Medien' zu verlassen, sondern im Vorfeld schon Kontakte zu den 'bürgerlichen Medien' herzustellen!
Politische Außenwirkung des Camps
Medial war das Camp soweit wir das bisher beurteilen können eher ein Misserfolg. Gerade auch im Vergleich zum Frankfurter Camp 2001, bei dem es gelang, den Frankfurter Abschiebeflughafen bundesweit in die Medien zu bekommen, ist es in Strasbourg nicht gelungen, beispielsweise das Schengen Informationssystem zum Thema zu machen. Das lag zum einen sicher an der nicht vorhandenen Aktionsstrategie, zum anderen auch an der zunächst kaum vorhandenen Pressearbeit. Bei den Aktionen selbst haben wir bei PassantInnen von völligem Unverständnis (Mittwochsdemo) bis Sympathie (Brückenaktionen am Freitag und Samba in der Innenstadt am Samstag) alles mitbekommen...
Das Verteilen von Campzeitungen haben wir bei den Grenzcamps in Frankfurt und Ostdeutschland als gute Möglichkeit erlebt, Kontakt zur Bevölkerung herzustellen und (in beschränktem Maße) auch unsere Meinungen und Gründe für die Camps zu vermitteln. In Strasbourg hat eine solche Vermittlung der Gründe für unsere Anwesenheit und unserer 'Forderungen' an die Bevölkerung leider weitgehend gefehlt. Bei der Samba-Aktion am Samstag in der Innenstadt hatten die PassantInnen großes Interesse an den dort verteilten mehrsprachigen Flugblättern.
Abschließend...
Denken wir, dass sich die Zusammenführung der Globalisierungsbewegungen und antirassistischen Bewegungen auf der "Mikroebene", im Camp, aber nicht auf der Makroebene produktiv ausgewirkt hat. Die 'Black Bloc"-Fraktion' der 'Antiglobalisierungsbewegung und die Antira-Bewegung fanden keine sinnvolle Synthese ihrer politischen Ausdrucksformen, was fatal war angesichts der Tatsache, dass viele MigrantInnen mit wackeligem bis gar keinem Status bei den Aktionen dabei waren. 'Freedom of Movement' ist zwar von der Globalisierungsbewegung als neues Motto übernommen worden, scheint aber bisher nicht mehr zu sein, als ein weiterer Slogan. Auch das Einschmeißen von Scheiben bei Accor sehen wir noch nicht als das Anzeichen für eine gemeinsame Praxis von Antira- und Globalisierungsbewegung.
In Zukunft sollten bei solchen großen, internationalen Aktionscamps die unterschiedlichen linken Kulturen, Aktionsformen und Diskussionsstände mehr thematisiert werden, intern mehr vermittelt, diskutiert und weiterentwickelt werden. Findet das statt, so sehen wir auch eine Perspektive in weiteren Camps dieser Art. Wenn nicht, scheint uns doch ein überschaubareres Camp mit klarer politischer Ausrichtung für unseren nächsten Sommerurlaub als wünschenswerter...
Tuebinger Zeltplatzbande, Ende August 2002
notes
[1] vgl. auch: el desaparecido: After Strasbourg - Before Leiden; Diskussionen auf Indymedia.de über Sowjetische Flagge, Jungle World Artikel,...; Text vom no border plenum Freiburg 'Zu den Vorfällen an der Synagoge in Strassburg am 24.7.2002'; Stellungnahme der Volxtheaterkarawane zu den Vorfällen an der Synagoge; Camp-Auswertungstext von Autonoom Centrum Amsterdam;... [zurück]
[2] Eine Idee ist die Schulung von ModeratorInnen, die die Barrios unterstützen. Eine andere Idee ist das Experimentieren mit anderen, neuen Diskussionsmethoden: Auf dem Crossover-Camp in Cottbus wurde beispielsweise mit dem Fishbowl-Verfahren gearbeitet, bei dem wenige Delegierte in der Mitte im Kreis sitzen und jeweils dahinter im großen Kreis ihre Bezugsgruppen. Bei diesem Verfahren sind jederzeit Absprachen zwischen Delegierten und Gruppe möglich, gleichzeitig können aber im inneren Kreis überschaubare Diskussionen geführt werden. Wir möchten dazu anregen, solche Alternativen zu großen Plena kennen zulernen und auszuprobieren. [zurück]
[3] Anlaufstelle: Ansprechpunkt und -personen, die Opfer von Übergriffen betreuen und Übergriffe bei Einverständnis der Opfer im Camp öffentlich machen; im Fall eines öffentlich gemachten Vorfalls/ Übergriffs hat sich das ganze Camp damit auseinander zu setzen. [zurück]