Deutsch - Französische Polizeizusammenarbeit
Aufbau eines Grenzregimes gegen Flucht und Wanderung!
16.Jul.02 - Warum es politisch wichtig ist im Rahmen des no-border-camps eine Grenzaktion durchzuführen?
Deutsch-Französische Grenzkommissariat in Strasbourg-Kehl.
Gemeinsames Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit" in Offenburg (kommt im Dezember 2002 nach Kehl).
"Deutsche und französische Polizisten werden künftig gemeinsam Streife gehen und dürfen bei Einsätzen jenseits der Grenze Dienstwaffen tragen und sie auch benutzen" [1].
Polizeibeamte sollen bei der Observation, der grenzüberschreitenden Ermittlung sowie bei der Verfolgung von Straftätern besser zusammenarbeiten können. Im Dezember 02 soll es dann die ersten gemeinsamen Grenzstreifen geben, obwohl doch immer wieder behauptet wurde, mit dem Schengen-Abkommen fallen die Grenzbalken und Grenzkontrollen und die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU sei gewährleistet.
Für die Umsetzung dieser Beschlüsse sind vier deutsch-französische Grenzkommissariate verantwortlich sowie das "gemeinsame Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit" in Offenburg.
Welche Bedeutung diese Beschlüsse haben, zeigte die Anwesenheit des Karlsruher Generalstaatsanwaltes Günter Hertweck, des französischen Generalstaatsanwaltes Bernard Legras, des Präsidenten des Landespolizeidirektion Freiburg Wolfram Haug, des Präsidenten des Bundesgrenzschutzes West (München) Matthias Seeger, und weitere 32 hochrangige VertreterInnen von Justiz und Polizei beider Länder in der Fachhochschule in Kehl am Freitag den 24. Mai 2002.
Obwohl das Schengen-Abkommen auf EU-Ebene und das Mondorfer Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich von 1997 prinzipiell die Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, wie auch gemeinsame Polizei-Patroullien, hatte jedoch die Rechtspraxis die Umsetzung dieser Vereinbarungen verhindert.[2] Diese Schranken sind jetzt gefallen.
Bislang war es deutschen Polizisten verboten Dienstwaffen und Uniformen in Frankreich zu tragen. Für die Nacheile der deutschen Polizei nach Frankreich wurde eine "formal-bürokratische Erleichterung" beschlossen. Da es für die deutsche Polizei auch künftig ein wirkliches Festhalterecht in Frankreich nicht geben wird, auch wenn umgekehrt anderes gilt, wurde beschlossen, dass die deutsche Polizei "Verdächtige" festhalten darf. Innerhalb von sechs Stunden müssen sie den französischen Behörden eine Festhalte-Anordnung übermitteln.
Es gibt also seit cirka zwei Monaten eine neue Polizeipraxis an der deutsch-französischen Grenze, oder wie es Generalstaatsanwalt Hertweck ausdrückt: "Es gehe darum, den Handlungsspielraum, den die Gesetze uns geben, auszufüllen und auszunützen."
Stellt sich nur die Frage, in welchem Umfang diese Einrichtungen zur Kriminalisierung von Flucht und Wanderung beitragen?
Polizeiliche Zusammenarbeit im Grenzgebiet
Bereits am 3. Februar 1977 wurde eine Vereinbarung über die polizeiliche Zusammenarbeit im deutsch-französischen Grenzgebiet beschlossen.
Commissariat Franco-Allemand Strasbourg-Kehl
Vier deutsch- französische Grenzkommissariate wurde an den Grenzen eingerichtet, wovon eines sich an der Grenze in Kehl befindet. Noch bevor es am 12. Oktober 1992 zu einer neuen Vereinbarung über die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den an der Grenze liegenden Bundesländern und den Departements kam, wurde bereits am 8. November 1989 an der Europabrücke in Kehl / Strasbourg die erste gemeinsame Dienststelle zwischen Frankreich und Deutschland eingerichtet.
Am 12. Oktober 1992 wurde folgendes beschlossen: 1. Einrichtung einer Koordinierungsstelle, 2. Einrichtung von gemeinsamen Kommissariaten, 3. Durchführung abgestimmter Einsätze, 4. Informationsaustausch, 5. Zeitliche befristete Entsendung von Polizeibeamten und 6. Aufstockung der Kommunikationsmittel.
Seit diesem Zeitpunkt besteht das Commissariat Franco-Allemand bzw. die deutsch-französische Kontaktdienststelle. In dieser Behörde arbeiten Polizeibeamte der französischen Grenzpolizei SPAF Strasbourg und der Bundesgrenzschutzinspektion Kehl/Offenburg, das wiederum dem Bundesgrenzschutzamt Weil am Rhein unterstellt ist, zusammen. Wie sie selbst schreiben, liegt "ein Arbeitsschwerpunkt des gemeinsamen Kommissariates in der internationalen Kriminalitätsbekämpfung"[3].
Der Aufgabenkatalog umfasst folgende Punkte:
1. Austausch von polizeilichen Informationen und Fahndungen
2. Beiträge zu deutsch-französischen Lagebeurteilungen und Hilfestellungen bei grenzüberschreitenden polizeilichen Massnahmen
3. Meldekopf in besonderen Lagen wie zum Beispiel Demonstrationen
4. Basisorganisation für die Bildung deutsch-französischer Führungsstäbe
5. Durchführung von Einsätzen nach Artikel 2 des Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)[4]
6. Vorbereitung und Durchführung von Rücküberführungen illegaler Ausländer sowie Auslieferungen
7. Informationsaustausch mit Kontaktdienststellen und Behörden in ganz Europa
8. Amtshilfe und Durchführung von Ermittlungsersuchen in- und ausländischer Polizeidienststellen und Behörden
9. Abstimmung und gegenseitige Unterstützung bei grenzpolizeilichen Massnahmen
10. Auskunftsdienstelle für Privatpersonen im verwaltungstechnischen und polizeilichen Bereichen (sämtliche zehn Punkte[5])
Die Aufzählung dieser 10 Punkte lässt die politische Dimension der Commissariats Franco-Allemand erahnen.
Freimuth Lusch von der Bundesgrenzschutzinspektion Kehl
brüstet sich in einem Artikel über das Commissariat, dass "neben dem Informationsaustausch zwischen Frankreich und Deutschland, die Dienstleitungen dieser internationalen Behörde von praktisch allen europäischen Staaten in Anspruch genommen werden. So bestehen enge Kontakte von Spanien bis nach Rußland, von Großbritanien bis in die Türkei. Die Arbeit des Bundesgrenzschutzes und der französischen Police aux Frontière in der gemeinsamen Kontaktdienststelle in Kehl / Strasbourg wird sich auch in der Zukunft weiterhin positiv entwickeln, da die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Europa unabdingbar ist.[6]"
"Gemeinsames Zentrum der Polizei- und Zollzusammenarbeit" (Offenburg) - Modell für Europa -
Das "Gemeinsames Zentrum der Polizei- und Zollzusammenarbeit" zieht zum Ende des Jahres nach Kehl. Am Mittwoch den 30. Januar 2002 beschloss der Kehler Gemeinderat einstimmig, "der Behörde das gewünschte Gebäude in der ehemaligen ‚Großherzog-Friedrich-Kaserne" zur Verfügung zu stellen.
"Laut Said (Polizeihauptkommissar, Leiter des Umzugprojekts nach Kehl) wurde ein anderes Gebäude in Offenburg nicht angestrebt, da die französischen Kollegen auf größere Grenznähe drängten. Der Umzug nach Kehl sei aus taktischen Gründen sinnvoll, die Dienstgeschäfte, ob Aktenübergabe oder persönlicher Austausch mit den dortigen Kollegen, würden von Kehl aus einfacher, so Said. Das ‚Gemeinsame Zentrum' wird künftig im Nordgebäude der ehemaligen Kaserne untergebracht sein, etwa zwei Kilometer vom neuen Hauptquartier der französischen Polizei in Strasbourg entfernt. Die neuen Diensträume - Besprechungsräume, Büros, Nebenräume - bieten 1 400 Quadratmeter Fläche. Weiter erhält die Behörde zehn Garagen. Voraussichtlich werden dort nach dem Einzug 60 Beschäftigte arbeiten. Die Grundmiete von zwölf Mark pro Quadratmeter und Monat (16.800 DM / 8.589,79 Euro) wird vom Land bezahlt. Das seit zehn Jahren leehrstehende Nordgebäude wird von der Stadt Kehl für rund zwei Millionen Euro saniert... Der Mietvertrag zwischen der Stadt und der Behörde ist auf zehn Jahre ausgelegt"[7]
"Hegter (Landespolizeipräsident) unterstrich die Schlüsselrolle, die das im März 1999 in Offenburg eingerichtete Zentrum der deutsch-französischen Polizei und Zollzusammenarbeit inzwischen übernommen habe. Mit bislang über 10.000 Anfragen deutscher und französischer Dienststellen habe sich das Zentrum bereits nach kurzer Zeit als unverzichtbares Element der Sicherheitspartnerschaft mit Frankreich und als Modell für vergleichbare Projekte im In- und Ausland erwiesen."[8]
"Das einzigartige Zentrum unterstützt seit Mai 1999 die Polizei im deutsch-französischen Grenzgebiet bei grenzüberschreitenden Ermittlungen, Unfällen, Castortransporten oder Demonstrationen"[9]
Welche Bedeutung hat nun das gemeinsame Zentrum im Vergleich zu dem in Kehl befindlichen Grenzkommissariat ?
Dieses Einrichtung zentralisiert die Zusammenarbeit, in grenzüberschreitenden Angelegenheiten, folgender Behörden: Gendarmerie Nationale, Police Nationale und Zollbehörden in den Departemens von Moselle, Bas-Rhin und Haut-Rhin, die Polizei des Saarlandes, von Rheinland Pfalz, Baden-Württembergs, des Bundesgrenzschutzes und und Zoll. "Das SDÜ (Schengener Durchführungsabkommen) hat nunmehr jedoch dazu beigetragen, dass die Strukturierung der Zusammenarbeit nun mehr von der Politik bestimmt wird. Damit wurde auch eine neue Art von Kooperationsstrukturen geschaffen. Diese sind jetzt von jeweils mehr als einer Organisation pro Land besetzt und ihre Zusammensetzung wie auch ihre Arbeitsabläufe können nicht mehr so beliebig von den Sicherheitsorganisationen selbst bestimmt werden. .... Ein besonders exemplarisches Beispiel für die neue Arbeitsweise ist das Gemeinsame Zentrum der deutsch-französischen Polizei- und Zollzusammenarbeit."[10]
Die Abschaffung der Grenzkontrollen auf der Grenzlinie (Grenzübergänge) verbunden mit dem Inkraftreten des SDÜ, hat für die neue "Sicherheitskonstellation" an der Grenze eine neue Dynamik im Bereich der Polizeien etc. geschaffen: Zusammenarbeit (punktuelle Zentralisierung ) konkurrierender Polizeibehörden auf beiden Seiten des Rheines und Schaffung bilateraler Kommissariate im operativen Bereich (Police aux Frontière/BGS). Im Ausbildungs- und Fortbildungsbereich gibt es regen Beamtenaustausch, Fortbildungsaufenthalte, Seminare, deutsch-französische Sprachschule in Lahr und das Euroinstitut in Kehl. Im Bereich der rechtlichen Beratung und Unterstützung von Beamten bei operativen Massnahmen wird eine Koordinierungsstelle, Cellule de Cooperation Europienne und Facharbeitsgruppen aktiv.
Soweit einige Grundinformationen zur polizeilichen Situation an der deutsch-französischen Grenze in Kehl-Strasbourg und allgemein zur Grenze.
Von NoBorder weit entfernt!!!
Grundsätzlich sind Freundschaft und Solidarität immer die entscheidenden Bausteine für weitere Entwicklungen in den Beziehungen der Menschen über die Grenzen hinweg. Genau dieser positive Ansatz macht sich die herrschende Politik bei der grenzüberschreitenden Polizeiaufrüstung zu Nutzen. So wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch immer als was Tolles und Völkerverbindendes in den Pressemitteilungen der Polizei dargestellt. Welchen Nutzen sie für den Menschen hat, wird kaum hinterfragt. Einerseits wird mit dem Inkrafttreten des Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen "abgeschafft", und andererseits wird im Gegenzug mit dem Abkommen eine legale Basis für die Zusammenarbeit von Justiz und (Polizei)-"Sicherheitsbehörden" über die Grenzen geschaffen, um den " zu erwarteten Verlust an Sicherheit und Sicherheitsgefühl durch eine verstärkte Zusammenarbeit auszugleichen"[11]. Tatsächlich haben wir heute mehr Polizei an den Grenzen, "ohne Grenzkontrollen", als vorher. Dabei muss betont werden, dass die Grenzlinie mit den einzelnen Kontrollpunkten (Zollstationen) nie diese intensive Kontroll- und Überwachungsfunktion hatte, als das heutige Grenzregime.
Ein Blick in das von 1990 verabschiedete Schengener Durchführungsübereinkommen genügt um zu verstehen, welche zentralen Aufgaben dort definiert und welche Zielgruppe von Menschen im polizeilichen Visier sind: Hermetische Absicherung und Kontrolle der EU-Ausgrenzen, eine rigide EU-Visapraxis, gemeinsame Asylzuständigkeit und Asylanerkennungsregelungen sowie eine enge Polizeikooperation.
Der Bundesgrenzschutz (BGS) der seit 1990 von der herrschenden Politik zur omnipotenten und omnipräsenten Bundespolizei aufgebaut wird, ist für die im SDÜ definierten Aufgaben zuständig. Das zeigt auch ein Blick in das BGSG §12 Verfolgung von Straftaten von 1994[12]. Nicht nur um die Spanische Enklave in Marokko, wo an der 150 Kilometer langen Grenze Stacheldraht ausgerollt wurde, "bezahlt für knapp 60 Millionen Mark - zum Teil aus dem Europäischen Entwicklungsfonds - bauen die Militärs eine Mauer gegen die Fremden[13]", sondern auch innerhalb Europa werden an den Binnengrenzen, Grenzregime errichtet. Dazu dienen die Einrichtungen (Grenzkommissariate / Gemeinsames Zentrum) an der deutsch-französischen Grenze.
Noch bevor das "Gemeinsame deutsch-französische Polizeizentrum" eingerichtet wurde, mussten in Baden-Württemberg einige gesetzliche Hürden die einer Polizeizusammenarbeit im Wege standen, beseitigt werden. "Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg mit Bonn eine bessere Polizeikooperation im Grenzgebiet vereinbart. Das Sicherheitskooperationssystem, das Bundesinnenminister Manfred Kanther und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble (beide CDU) am Freitag in Karlsruhe unterzeichneten, markiert den Beginn einer Zusammenarbeit zwischen Bundesgrenzschutz und Landespolizei entlang der Grenze[14]" "Was bisher nur im Rahmen der Amtshilfe geschah, soll Alltagsarbeit werden. Beide Seiten wollen einander besser informieren, gemeinsam fahnden und Einsätze koordinieren... Angestrebt wird ein deutsch-französisches Sicherheitszentrum bei Kehl / Straßburg"[15]
Mittlerweile arbeiten im "Gemeinsamen Zentrum" Strassburger Straße 14 in Offenburg:
1. Der Bundesgrenzschutzamt Weil am Rhein mit seinen BGS-Inspektionen (Offenburg-Kehl, Freiburg, Weil am Rhein, Lörrach, Waldshut und Konstanz) die durch den oben erwähnten Vertrag von 1997 mit der Landespolizei Ba-Wü zusammenarbeiten.
2. Die Landeskriminalämter Ba-Wü und Rheinland-Pfalz die wiederum mit dem Bundeskriminalamt (BKA) in Kontakt stehen. "Das Bundeskriminalamt (BKA) wertet regelmäßig den nationalen Datenbestand des SIS[16] aus...[17]"
3. Zollfahndungsamt Freiburg
4. Gendarmerie Nationale
5. Police Nationale
6. Douanes
7. Kontakte bestehen zu sämtlichen Polizeidienststellen der Bundesrepublik Deutschland
Wie bereits erwähnt wurde, sind als Zielgruppen MigrantInnen und Flüchtlinge im Visier polizeilicher Tätigkeit. Dabei wirken verschiedene Gesetzesstränge zusammen, obwohl das nicht unbedingt von der Politik so gewollt wurde. So wirkt die Einrichtung des 30 km breiten Grenzraumes, wo die Polizei verdachts- und ereignisunabhängig kontrollieren darf, mit der Änderung des Grundgesetzartikels 16 (Asylrecht) zusammen. Mit der Einführung der Drittstaatenreglung, kann ein Flüchtling nicht mehr über den Landweg einreisen und eine Anerkennung als Flüchtling nach Artikel 16 erhalten. Seitdem gilt die Einreise ohne gültige Papiere als Straftat, auch wenn eindeutige Verfolgungsgründe vorliegen. Diese Gesetzeslage führt dazu, dass alleine 1998 an der Europabrücke Kehl / Strasbourg (aktuelle Zahlen liegen nicht vor) "1210 Ausländer überstellt wurden, davon 722 von Deutschland nach Frankreich"[18] Wie viele in Abschiebehaft kamen ist unbekannt. Innerhalb der 30km Zone kommen immer mehr Menschen in den Verdacht der Unterstützung der "illegalen Einwanderung". So hat z.B. die Freiburger Polizei und der Bundesgrenzschutz "in Freiburg und der näheren Umgebung Fahrzeuge kontrolliert, in denen Menschen illegal nach Deutschland einreisen könnten. Wie die Polizei mitteilt, sind vor allem Klein-Transporter und Lastkraftwagen überprüft worden. Unter anderem untersuchten die Beamten die Wagen von Flughafenzubringern. Die Kontrolle zählt im Raum Freiburg nach Angaben der Polizei zu den Routineaufgaben."[19] Diese Kontrollen sind nur durch die willkürlichen "verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen" möglich. Musste nach dem klassischen Polizeirecht ein klarer begründeter Verdacht für eine polizeiliche Kontrolle vorliegen, so wurde mit dem neuen Polizeirecht die "Verdachtsentscheidung" dem einzelnen Polizisten in die Hand gegeben. Schon alleine das subjektive Verdachtsempfinden eines Polizisten reicht für eine polizeiliche Kontrolle aus. Der Kontrolleur hat alle, der Kontrollierte keine Rechte mehr. Prof.Feltes von der Fachhochschule für Polizei in Villingen bezeichnet die "verdachtsunabhängigen Kontrollen" als eine gegen MigrantInnen gerichtete polizeiliche Fahndungsmassnahme. Deutlich wird dies besonders bei den permanenten Kontrollen von Flüchtlingen die im Grenzberich untergebracht sind und der Residenzpflicht unterliegen. Sie sind durch ihre persönlichen Merkmale (dunkle Hautfarbe) permanent Ziel (rassistischer) polizeilicher Kontrolle. Dazu kommt, dass die Landespolizei Ba-Wü einmal im Monat polizeiliche Fahndungen gegen "illegal aufhältliche Menschen" durchführt.
No-border-Grenzcamp und die Kontrollen durch die polizeilichen Grenzeinrichtungen
Eines gilt als sicher, beide, oben beschriebenen polizeilichen Institutionen sich mit "Sicherheit" derzeit sehr intensiv mit dem stattfindenden internationalen no-border-grenzcamp beschäftigt und werden auch die entsprechenden notwendigen polizeilichen Massnahmen treffen. Das deutsch-französische Grenzkommissariat an der Europabrücke, das als "Meldekopf in besonderen Lagen wie zum Beispiel bei Demonstrationen" zwischen beiden Ländern gilt, spielt dabei im exekutiven Bereich eine Schlüsselrolle. Es ist davon auszugehen, dass der "Austausch von polizeilicher Information" und die "Beiträge zu deutsch-französischen Lagebeurteilungen und Hilfestellungen bei grenzüberschreitenden polizeilichen Massnahmen" in Sachen no-border-grenzcamp schon längst abgesprochen sind. In späteren internen Berichten werden sich die Schengen-Grenzeinrichtungen ihrer gelungenen polizeilichen Zusammenarbeit rühmen, und über den Einsatz zum no-border-camp die weitere Existenz der Einrichtungen einmal mehr rechtfertigen. Die Computer werden heiss laufen, die Daten werden abgeglichen, die Brücke Tag und Nacht mit Videokameras überwacht werden. Denn es gilt folgendes: "Gestützt auf entsprechende präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlagen werden zunehmend auch Beobachtungs- und Überwachungsmassnahmen im Vorfeld von Strafverfahren als Instrument insbesondere im Kampf gegen die organisierte Kriminalität genutzt [20]".
"Wir werden alle als potentielle Gefahrenquelle definiert. Wir sind verdächtigt in jeder Hinsicht. Nicht nur nach der Hautfarbe, der Herkunft, der Sprache wird ausgesiebt - auch nach der Verlässlichkeit, der richtigen Gesinnung und der aktiven Teilnahme am ‚gemeinsamen Ziel'. Folglich gibt es auch die sogenannten Erfolge bei diesen Kontrollen."[21]
Allzudeutlich wird dies am Schengener-Informationssystem (SIS).
Neugestaltung - das SIS der zweiten Generation
Das bestehende SIS war Ende der 80er Jahre geplant worden, zu einem Zeitpunkt, da die Schengen-Gruppe gerade fünf Mitgliedstaaten hatte. Da man bereits zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass sich weitere EU-Staaten an dem System beteiligen würden, wurde es auf den Anschluss von acht Staaten ausgelegt. Diese Grenze ist längst überschritten. Schon beim Anschluss Österreichs, Griechenlands und Italiens wurden technische Schwierigkeiten offenbar. Im Dezember 1996 beschloss der Schengener Exekutivausschuss daher auf längere Sicht ein "SIS der zweiten Generation" aufbauen zu wollen. Für die inzwischen vollzogene Beteiligung der nordischen Staaten wurde das System kurzfristig zum "SIS 1 plus" verstärkt.
Im vergangenen Jahr sind die Diskussionen über die Ausgestaltung des neuen SIS 2 in eine entscheidende Phase getreten. Bereits im Frühjahr befürworteten die SIS-Arbeitsgruppe des Rates sowie der gemischte Ausschuss nicht nur eine technische Vergrösserung, sondern eine Reihe von inhaltlichen Erweiterungen. Dabei ging es u.a. um eine längere Laufzeit für Daten nach Art. 96 (Ausschaffung und Zurückweisung) und Art. 99 (polizeiliche Beobachtung). Diese betragen bisher drei bzw. ein Jahr und sollten nach Ansicht der Ratsarbeitsgruppen auf fünf bzw. drei Jahre heraufgeschraubt werden. Eine solche Verlängerung der Laufzeit hätte automatisch auch eine Steigerung der Zahl der gespeicherten Personen zur Folge.
Auch die Datensätze selbst sollen erweitert werden. Bisher umfassten Personendaten nur die Personalien, den Grund der Ausschreibung, die ausschreibende Stelle sowie allenfalls die Personenbezogenen Hinweise "bewaffnet" oder "gewalttätig". Das neue SIS soll den Vorstellungen der Arbeitsgruppe gemäss auch Fingerabdrücke, Fotos oder gar DNA-Profile enthalten.
Seit den Anschlägen in den USA sind die Ausbauvorstellungen erneut erweitert worden. Begründet wird das ganze mit der Terrorismusbekämpfung. Die belgische Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2001 hat u.a. vorgeschlagen, das SIS zu einem Visumskontrollsystem auszubauen. Nicht-EU-BürgerInnen würden mit der Visumsvergabe gleichzeitig im SIS registriert. Der Datensatz würde solange "blind" bleiben, d.h. er könnte bei einer Abfrage nicht eingesehen werden, solange das Visum gültig ist. Mit seinem Ablauf würde die Ausschreibung automatisch aktiviert, es sei denn, das Visum sei verlängert worden oder die Person sei fristgerecht ausgereist. Dieser Vorschlag hat unweigerlich eine massive Steigerung der Zahl der gespeicherten Daten zur Konsequenz. Er setzt BürgerInnen aus Nicht-EU-Staaten unter einen Generalverdacht und programmiert polizeiliche Willkür vor: Wenn eine Visumsverlängerung nicht mitgeteilt wird, laufen Personen mit legalem Aufenthaltsstatus Gefahr, in Ausschaffungshaft zu landen. Wird eine fristgerechte Ausreise nicht registriert, so kann die betroffene Person damit rechnen, dass ein neuerlicher Visumsantrag abgelehnt wird. Der Rat konstruiert damit ein bürokratisches Monstrum.
Der zweite Teil des belgischen Vorschlags zielt darauf ab, "potenziell gefährliche Personen von der Teilnahme an bestimmten Ereignissen" abzuhalten. Um dies zu erreichen sollen "violent troublemakers" zur polizeilichen Beobachtung nach Art. 99 ausgeschrieben werden. "So könnte ein gewalttätiger Fussballfan ... daran gehindert werden, ein Fussballspiel zu besuchen. Die Massnahme könnte auch auf gewaltbereite DemonstrantInnen ausgedehnt werden." Schon nach den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg und den G8-Gipfel in Genua gab es Hinweise darauf, dass das SIS zur Durchsetzung von Einreise- und Ausreiseverboten genutzt worden war. Jetzt soll diese Praxis im Schengener Abkommen ausdrücklich fest geschrieben werden. Kein Wunder, dass die SIS- Arbeitsgruppe des Rates nun auch einen konkreten Vorschlag für den Zugang von Geheimdiensten zum SIS erarbeiten will[22].
Wie Leserin und Leser nun wissen, existiert in unmittelbarer Nähe des no-border-camps eine Vielzahl von polizeilichen (Schengen)-Einrichtungen, nicht zu vergessen das Abschiebegefängnis in Geisbolsheim in der Nähe von Strasbourg.
Es ist sehr wichtig, dass diese polizeilichen Einrichtungen, mittels Aktionen, z.B. Demonstration und Besetzung der Europabrücke, während des internationalen no-border-grenz-camps thematisiert werden, damit diese repressiven Schengeneinrichtungen ins öffentliche Bewusstsein gelangen und darüber hinaus eine notwendiger Diskurs entsteht.
PS: Auf der Brücke in Kehl wurden von der Gestapo neun französische Widerstandskämpfer erschossen. Eine Gedenktafel erinnert an dieses Verbrechen.
1 Badische Zeitung 25. Mai 2002
2 Badische Zeitung 25. Mai 2002
3 www.conference-rhin-sup.org/bulletin/5/5_j.htm
4 Überschreitungen der Binnengrenzen. Artikel 2 (1) Die Binnengrenzen dürfen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. (2) Wenn die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit es indessen erfordern, kann eine Vertragspartei nach Konsultation der anderen Vertragsparteien beschliessen, dass für einen begrenzten Zeitraum an den Binnengrenzen den Umständen entsprechend nationale Grenzkontrollen durchgeführt werden. Verlangen die öffentliche Ordnung oder die nationale Siocherheit ein sofortiges Handeln, so ergreift die betroffene Vertragspartei die erforderlichen Massnahmen und unterrichtet darüber möglichst frühzeitig die anderen Vertragsparteien.
5 www.conference-rhin-sup.org/bulletin/5/5_j.htm
6 www.conference-rhin-sup.org/bulletin/5/5_j.htm
7 Badische Zeitung 1. Februar 2002
8 Pressestelle - Innenministerium Baden-Württemberg 31. Januar 2001
9 Badische Zeitung 6. Mai 2002
10 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Jahrbuch 2001, Teilprojekt B: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheits und Justizbehörden an der deutsch-französischen Grenze
11 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Jahrbuch 2001, Teilprojekt B: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheits und Justizbehörden an der deutsch-französischen Grenze
12 BGSG: Bundesgrenzschutzgesetz zu finden unter: http://jurcom5.juris.de/bundesrecht/bgsg_1994/_12.html
13 Badische Zeitung Juli 1996!?
14 Badische Zeitung 19.07.1997
15 Badische Zeitung 18.07.1997
16 Schengen Informationssystem - Der Zentralrechner befindet sich in Strasbourg in der Rue de la Faisanderie in Neuhof
17 Datenschutzbeauftragte Hessen / Ausländerrecht www.hessen.de/hdsb/Tb29/K12P1.htm
18 www.conference-rhin-sup.org/bulletin/5/5_j.htm
19 Badische Zeitung 8. Mai 2002
20 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Jahrbuch 2001, Teilprojekt B: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheits und Justizbehörden an der deutsch-französischen Grenze
21 Redebeitrag SAGA bei Grenzaktion am 15. Juni 2002 Weil am Rhein - Basel
22 Schengen und die Schweiz Ein Dossier über die Schengen-Kooperation... Solidarité sans frontière Bern