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international bordercamp strasbourg

Nach Strasbourg - vor Leiden

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16.Aug.02 - Auswertung einiger übergreifender politischer Aspekte des no border camps in Strasbourg und der Arbeit der europäischen emanzipatorischen Netzwerke [1]

Das No border camp war ein ziemlich intensives und komplexes Event, das den derzeitigen Zustand der europäischen emanzipatorischen Netzwerke, ihre politischen Praxen und internen Debatten widerspiegelte. Der folgende Text versucht, aus den Aktivitäten der vergangenen Jahre und des no border camps in Strasbourg einige allgemeine Schlüsse für die bevorstehende europäische People's Global Action-Konferenz in Leiden zu ziehen.

Kontext und Zeitpunkt des Camps

Entsprechend des sich ausbreitenden Unbehagens im Kapitalismus und der Krise der Sozialdemokratie am Ende der 90er Jahre waren die Monate vor Strasbourg von einer weltweiten Verschärfung der generellen Krise charakterisiert: Finanzieller Kollaps und Aufstände in Argentinien, das Ende der New Economy-Blase, freier Fall der Börsenkurse, Aufstieg der extremen Rechten ... Der öffentliche Diskurs wurde sehr stark dominiert vom allgemeinen "Krieg gegen den Terror" und dem Schüren sozialer Angst, um die Machtstrukturen zu legitimieren, die sich immer schneller vom Wohlfahrtsstaat zum Überwachungsstaat verlagern.

Je mehr Risse im neoliberalen Credo auftauchen und je mehr Konflikte zwischen Kapitalinteressen es gibt, desto mehr werden protektionistische Maßnahmen, neokeynesianische Politik und Initiativen zur Kontrolle der Märkte von weiten Teilen der herrschenden Klasse begrüßt. Der politische Diskurs von Gruppen wie ATTAC wird zunehmend überflüssig, gleichzeitig wird die Illusion z.B. der Tobin-Steuer von ihren BefürworterInnen öffentlich anerkannt [2].

Die Dynamik der Gegengipfelproteste ist bis heute ziemlich beeindruckend hinsichtlich der Häufigkeit der Mobilisierungen und ihres regionalen Charakters (z.B. Anti-EU-Gipfel in Barcelona mit 500.000 Menschen hauptsächlich aus der Region im März 2002); ihr Erfolg hinsichtlich der Delegitimierung von Institutionen wie der WTO oder den G8 und der Stärkung sozialer Kämpfe in ganz Europa und darüber hinaus kann nicht geleugnet werden. Die Kombination aus einem offensiven Charakter der Mobilisierungen und den Widersprüchen in den Kapitalinteressen sorgte für breite Wahrnehmung der Mobilisierungen. Viele Menschen wurden durch diese Ereignisse zu politischer Aktivität angeregt, besonders junge Leute, und vor allem im vergangenen Jahr.
Angesichts der Vorhersehbarkeit der Mobilisierungen, sank jedoch die Sichtbarkeit dieser sich ritualisierenden Events enorm, die Repression wuchs und die politische Wirkung ging zurück. Innerhalb der Netzwerke besteht verbreitete Selbstkritik und Infragestellung der Ziele und der Effektivität von Gegengipfel-Mobilisierungen, ihrer Abhängigkeit vom Zeitplan der Institutionen, der gefährlichen Repressionsspirale, der Instrumentalisierung durch autoritäre Agenden usw...

Bisher entspricht die "Antiglobalisierungsbewegung" in Europa eher einem oberflächlichen (manchmal spektakulären - Genua) Ausdruck tiefergehender sozialer Veränderungen, der wachsenden Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus und dem Widerstand gegen sozio-ökonomische Restrukturierungen. In hohem Maß werden die "Bewegungen" eher von der Arbeit von "AktivistInnen" und Netzwerken getragen als von echten gesellschaftlichen Dynamiken. Gerade Dynamiken "im Süden" wie der indigene Kampf in Chiapas, die Aufstände in Argentinien oder die Studierendenstreiks in Mexiko, von denen wir soviel Inspiration gezogen haben, dürften uns eine Vorstellung geben, wie weitreichend solche Prozesse sein können im Vergleich zu den Vernetzungen, wie wir sie in Europa betreiben! Dies ist kein Vorwurf an die Aktiven, sondern ein Aufruf dazu, einerseits unsere Selbstwahrnehmung nüchtern zu betreiben und uns nicht der Gefahr auszusetzen, uns entweder bereits für eine "antikapitalistische" Bewegung oder eine Art "Avantgarde" zu halten, die von anderen Menschen erwartet, mehr oder weniger so zu werden, wie wir bereits sind. Vorgefertigte Konzepte darüber, wie soziale Bewegungen aussehen, können soziale Prozesse sogar behindern, statt sie voranzutreiben. Andererseits ein Aufruf dazu, aufmerksam dafür zu sein, wie potenzielle soziale Dynamiken aussehen könnten und die Notwendigkeit der Kommunikation außerhalb unserer Netzwerke zu sehen [3].

Über das Treffen in Strasbourg und Kommunikation außerhalb unserer Netzwerke

Das no border camp in Strasbourg war die Gelegenheit für AntikapitalistInnen, AntirassistInnen, selbstorganisierte MigrantInnen, sans papiers und Gruppen aus den französischen Banlieues, sich zu treffen.

Verschiedene Initiativen innerhalb des Camps reflektierten positive Versuche, in tatsächliche soziale Dynamiken einzugreifen, wie den Kampf um Bewegungsfreiheit, die Situation in den französischen Banlieues oder der Streik von MigrantInnen gegen Arcade.

- Der Kampf für Bewegungsfreiheit ist bereits seit einigen Jahren Thema von Gruppen selbstorganisierter MigrantInnen/Flüchtlinge wie The Voice und von antirassistischen Gruppen in Deutschland. Trotz kontinuierlicher Arbeit und einiger erstaunlich guter Mobilisierungen wie die Karawanen und die Aktionstage gegen die "Residenzpflicht " in Berlin im Mai 2001 ist es ihnen nicht gelungen, MigrantInnen und größere Bereiche der Gesellschaft in den Kampf einzubeziehen. [4] Das Camp in Strasbourg hat definitiv dazu beigetragen, dem Kampf für Bewegungsfreiheit internationale Beachtung innerhalb des Netzwerks zu geben und es als zentrale Forderung zu verankern, aber wie das Camp generell war die Aktion vor dem Europäischen Gerichtshof nicht sichtbar genug um ein größeres gesellschaftliches Echo zu haben. Der Kampf geht weiter: MigrantInnen und Flüchtlinge veranstalten zur Zeit eine Karawane durch Deutschland...

- die Arbeit in den Vororten (Banlieues) und mit MIB (Mouvement de l'Immigration et des Banlieues) war sehr inspirierend. Sie machte eine Situation sichtbar, die außerhalb von Frankreich unbekannt war. Der politische Diskurs von MIB und die Art, ein fortgesetztes koloniales Unterdrückungsverhältnis des französischen Staates gegenüber den Banlieues, den migrantischen Communities und den "jeunes issus de l'immigration" zu verurteilen, ist inspirierend und wird hoffentlich beginnen, sich außerhalb Frankreichs zu verbreiten. Der Kontakt zwischen "AktivistInnen" und MIB/MigrantInnen war definitiv fruchtbar, braucht aber eine Menge Verbesserungen. Das no border camp das in Jena direkt vor Strasbourg stattfand, beschäftigte sich genau mit diesem Aspekt, indem es versuchte so viele MigrantInnen wie "nicht-MigrantInnen" in einem Camp zusammenzuführen. In Strasbourg bemerkte ein MIB-Aktivist: "Viele Leute mit ausländischem Aussehen wurden zu uns geschickt, es war ein wenig überraschend zu sehen, dass der MIB-Stand als Konsulat für MigrantInnen/sans papiers innerhalb des Camps gesehen wurde."

- die Aktion gegen ACCOR - ihr Büro wurde demoliert - war ein Protest dagegen, dass ACCOR Geld mit Abschiebungen verdient. Es war auch eine der wenigen Aktionen, die sich direkt auf einen Kampf von MigrantInnen zu beziehen versuchte: Den derzeitige Streik von MigrantInnen gegen ihre Ausbeutung durch die Reinigungsfirma Arcade, die hauptsächlich in Hotels aktiv ist, die ACCOR gehören [5]. Die Auswertung dieser Aktion als Form der Intervention und Solidarität bedarf eines Feedbacks der streikenden MigrantInnen. Sie hatte öffentliche Sichtbarkeit, aber hauptsächlich in Kombination mit der generellen Kriminalisierung des Camps. Kam die Message rüber? War dies der geeignete Weg? Was dachten MigrantInnen darüber? Die Antworten werden helfen, Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Das Thema Kommunikation wird im Rahmen der Debatte um Repression und Umgang mit Medien (s.u.) wieder aufgegriffen.

Anti-Staats-Diskurs

Ein weiterer Erfolg war die Verknüpfung antikapitalistischer Kämpfe mit Kämpfen gegen Grenzregimes und soziale Kontrolle. Dies bedeutete, dass antinationale und anti-staatliche Kritik innerhalb des politischen "Anti- Globa lisierungs"-Diskurses gestärkt wurde. "No Border" lies die meisten Gruppen wie Attac, Neo-Keynesianisten und Gruppen, die soziale Veränderungen durch staatliche Reformen oder global governance herbeizuführen versuchen auß en vor. Zu Beginn des Camps bezeichneten die Medien die No Border-TeilnehmerInnen als Anti-globalisierungs-AktivistInnen für Bewegungsfreiheit und gegen das Grenzregime. Für ATTAC wurde das problematisch, sowohl wegen des staatsfeindlichen Diskurses in Verbindung mit Anti-Globalisierung als auch wegen der Sachschäden, so dass die ATTAC Strasbourg Führung sich öffentlich von allem, das irgend etwas mit "no border" und dem Camp zu tun hat d istanzierte. Anti-kapitalistische Kämpfe und Kämpfe gegen das Grenzregime sind voneinander abhängig, um nationalistische und etatistische Tendenzen auszuschließen. Die Zusammenarbeit und stärker aufeinander bezogene Aktiv itäten sollten vermehrt werden. Es ist jedoch unsinnig grundsätzlich im ATTAC Zusammenhang ein Feindbild zu erkennen, und den Kontakt abzubrechen.

Gegner und kollektive Identitäten

Anders als bei Gegengipfeln war das no border camp eine Mobilisierung, die den Ort, den Zeitpunkt und die Inhalte der Mobilisierung unabhängig vom Zeitplan der Regierenden selbst aussuchte. Es gab kein klar definiertes Angriffsziel wie einen G8- oder WTO- Gipfel, obwohl viele versuchten, ein solches gemeinsames Ziel im SIS, dem Schengen Information System, zu verkünden und entsprechend mobilisierten.

Dies bedeutete, dass die kollektive Identität oder das, was die Leute im Camp vereinen sollte, mehr mit unserer eigenen Stärke zu tun hatte und weniger mit der Tatsache, einen gemeinsamen Gegner zu haben, wodurch eine Situation entstand mit weniger "Druck von außen" und anders als bei einem "Wir-alle-gemeinsam-gegen-den-bösen-Gipfel".

Die Gegengipfelmobilisierungen der letzten Jahre kreisten stark um eine psychosoziale Massendynamik, die die Unzufriedenheit und den Hass der Leute auf die "bösen Multis" (Monsanto, Mc Donalds...) oder Institutionen (WTO, IMF, Banken...) projizierte. Sie trugen sicherlich dazu bei, ein politisches Bewusstsein zu schaffen über Weltpolitik, Machtbeziehungen und Unterdrückungsverhältnisse. Aber wenn politisches Bewusstsein und politische Analysen oberflächlich bleiben, können diese Dynamiken gefährlich und von autoritären Absichten (Trotzkistische Gruppen, Rechtsradikale, ...) leicht zu manipulieren sein.

Im schlimmsten Fall werden Unzufriedenheit und soziale Unterdrückungsverhältnisse in Einzelnen (böse Kapitalisten, Konzernchefs, Bush,..) oder Menschengruppen personifiziert. Das psychologische Bedürfnis, so anonymen Kräften oder abstrakten, schwer verständlichen Dingen wie "Globalisierung", dem "Markt", "kapitalistischer Unterdrückung", der "Macht der Banken"... ein Gesicht oder eine konkret greifbare Personengruppe zuzuordnen ist bekannt. Diese Individuen spielen bestimmt eine Schlüsselrolle und haben einen ernsten Anteil an der Verantwortung für die heutigen Ungerechtigkeiten, aber sie sind nichts im Vergleich zu den Unterdrückungsstrukturen, von denen wir uns befreien wollen. Solche Mechanismen der Personifizierung kokettieren mit Antisemitismus und wurden in der Vergangenheit z.B.: von den Nazis instrumentalisiert; die menschliche Geschichte ist voll solcher trauriger Kapitel.

In Europa wird ein großer Teil der breiter werdenden Unzufriedenheit mit dem Kapitalismus und der Sozialdemokratie durch die Rechte kanalisiert. Emanzipative Arbeit sollte sich damit beschäftigen, solche Dynamiken unmögliche zu machen und neue soziale Beziehungen zu gründen, anstatt Hass auf Multis oder Menschen zu projizieren.

Emanzipatorische soziale Bewegungen sollten sich darauf konzentrieren, eine Kultur zu entwickeln, die Menschen auf Grund gemeinsamer Werte zu vereinen, auf Grund von Respekt und Vielfalt, anstatt auf Grund von gemeinsamen Gegnern.

Viele Leute im Strasbourger no border camp neigten hingegen zu dem Versuch, die Situation eines klar definierten Feindes (Polizeirepression) zu reproduzieren, indem sie das Konfliktniveau erhöhten, um ihre eigene Identität ("wir gegen das Böse") bestätigt zu sehen.

Patriarchat [6]

Dieselbe Logik beinhaltete auch eine Tendenz, ein patriarchales Muster zu reproduzieren: Das Camp selbst war der Ort für Reproduktionsarbeit (Kinderbetreuung, Kochen, Bauen, Unterstützungsstrukturen ...), und außerhalb war der Ort für die wichtige Arbeit, für die man Muskeln und Testosteron benötigt im Kampf um die Rettung der Welt von dem Bösen. Die Situation wurde ziemlich gut von einem Cartoon illustriert, der von einer "Männergruppe gegen Patriarchat" gezeichnet und überall auf dem Camp aufgehängt wurde.

Cathy Levine, eine feministische Aktivistin in den 70er Jahren schrieb: "Men tend to organise the way they fuck - one big rush and then that ,bam, slam, thank you ma'am', as it were. Women should be building our movement the way we make love - gradually, with sustained involvement, limitless endurance - and of course, multiple orgasms." [7]

Das Camp erhöhte das Konfrontationsniveau gleich von Anfang an sehr schnell, was zu einer Situation führte, die stark vom Umgang mit Repression und der Kriminalisierung des gesamten Camps am Mittwochabend dominiert wurde. Folgt man Cathy's Logik, war es so, dass das Camp "zu früh kam", anstatt eine Vielzahl von Orgasmen während der letzten Aktionen am Ende der Woche zu haben.

Spaß beiseite, es ist klar, dass die emanzipatorischen Netzwerke den Ansturm einer Aneinanderreihung einzelner Gegengipfel überwinden und anhaltende Strukturen und Ansätze entwickeln müssen. Die Tatsache, das das Strasbourger no border camp Datum, Ort und politischen Rahmen autonom entschied, verweist auf positive Entwicklungen.

über Repression, Zusammenhalt und Kommunikation

Wir alle wissen es: Im letzten Jahr wurde die internationale Zusammenarbeit der Polizeikräfte ausgebaut, neue Anti-Terror-Gesetze wurden auf europäischer und nationaler Ebene verabschiedet, die Protestaktivitäten bei Gegengipfeln, wie Gipfelblockaden, Zugbesetzungen/Gratiszüge, Grenzübertritte kriminalisiert haben und sie mit terroristischen Aktionen gleichgesetzt. Der nötige rechtliche Rahmen zum Gegenschlag wurde geschaffen, Menschen wurden davon abgehalten, Grenzen zu überqueren, es fanden Hausdurchsuchungen statt und vor Gericht wurden krasse Strafen verhängt, aber bisher wurden diese Anti-Terror- Gesetze noch nicht im grossen Stil eingesetzt.

In Frankreich ist der Kriminalisierungsprozess konkreter gegen die Bevölkerung der Banlieues (jeunes issus de l'immigration), politische AktivistInnen und free rave parties gerichtet. Dies könnte zu einer ähnlichen Situation führen wie in Großbritannien Mitte der 90er Jahre mit dem "criminal justice bill", als direct action-UmweltaktivistInnen, HausbesetzerInnen, Raver und Travellers zusammengeführt wurden, was zu Aktionsformen wie Reclaim the Streets! führte.

Das enorme Polizeiaufgebot und die Kriminalisierungsversuche sind unproportional im Vergleich zur direkten Bedrohung, die die Proteste darstellen. Tatsächlich scheint die staatliche Repressionsmaschinerie zu versuche, die Dynamik im Keim zu ersticken, um zu verhindern, dass Inspiration und Ideen auf fruchtbaren Boden fallen. Die Proteste könnten potenziell ein Klima für breitere und tiefergehende soziale Protestdynamiken schaffen, wenn si e Menschen ermutigen, Eigeninitiative zu ergreifen und ihre Unzufriedenheit in Taten umzusetzen. Diese breiteren Dynamiken könnten eine viel ernsthaftere Bedrohung für den Kapitalismus und staatliche Regierungsfähigkeit d arstellen.

Was das Camp betrifft, der französische Staat hatte gerade einen Wahlkampf hinter sich, der sich sehr stark um Sicherheitsgesetze gedreht hatte. Dennoch erwies sich der Verhandlungsprozess um den Platz für das Camp als vi el einfacher, als die französischen AktivistInnen erwartet hatten, was zeigt, dass eine internationale Mobilisierung eine starke politische Macht darstellen kann.

Nachdem die Gegengipfel tendenziell ein Experimentierfeld staatlicher Repression geworden sind (Methoden zur Kontrolle von Menschenansammlungen, neue Reizgase und Waffen), machte das no border camp keine Ausnahme, der fra nzösische Staat nutzte die Gelegenheit, so genannte "flash balls" (neuartige Gummigeschosse) auszuprobieren, die erstmals in Europa für diese Art von Protesten benutzt wurden. Ein Aktivist, der getroffen wurde, hatte eine ernsthafte Beinverletzung und musste im Krankenhaus behandelt werden.

Es ist richtig, dass soziale Bewegungen sich nicht der Einschüchterung hingeben und offensiv bleiben sollten. Paranoia ist destruktiv, und Repression sollte unsere Handlungen nicht lähmen. Dennoch zeigt die Erfahrung aus Göteborg, Genoa und nach dem 11. September, dass das Risiko einer Razzia des Camps ziemlich real war, und vor allem sie war in den Köpfen der Leute präsent. Viele, die Genoa und die Scuola Diaz miterlebt hatten, wollten k eine Wiederholung eines solchen Szenarios sehen. Viele Leute verließen das Camp am Mittwochabend nach dem Konflikt und Donnerstagmorgen, und ein weiterer Schwung Leute Freitagabend und Samstagmorgen, aber ungefähr die gle iche Anzahl Menschen kam an diesen Tagen an, so dass die Zahl der TeilnehmerInnen bei 2000 zur Zeit blieb.

Jedoch statt der Repression, fürchteten viele Leute die konfrontative Dynamik, die von Menschen auf dem Camp ausging. Der Mangel an öffentlicher Unterstützung und geringe Präsenz in den Medien trugen nicht zur Sicherheit der Leute bei. Der Mangel an Zusammenhalt innerhalb der TeilnehmerInnen des Camps war sehr deutlich.

Diejenigen, die militante Taktiken benutzen und das Konfrontationsniveau erhöhen, sollten die Situation sorgfältig prüfen. Diese Taktiken sollten nicht angewendet werden, wenn es nicht genug Stärke und Unterstützung gibt von Leuten die bereit sind die folgliche Repression zu tragen und abzufedern. Eine Erhöhung des Konfrontationsniveaus sollte auch immer ausgewertet werden mit dem Feedback derjenigen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, im Fall des Strassbuger Camps Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus und Kinde, und mit den Leuten die explizit nicht in solche Dynamiken geraten möchten. Die Strassburger Kollektive hatten betont, sie wollten "Hit and Run"-Situationen möglichst vermeiden und sich auf eine lokale Arbeit mit der Banlieubevölkerung konzentrieren, dies wurde nicht berücksichtigt.

Unsere politischen Aktivitäten gehen auch nach dem Camp weiter, im allgemeinen sollten solche Schritte hinsichtlich des Zusammenhalts und der Unterstützung, die es in den Netzwerken oder den Bewegungen gibt, ausgewertet w erden, denn die Repression wird alle treffen. Avantgardistisches Verhalten das absichtlich an der Konfrontationsschraube dreht sollte vermieden werden.

Kommunikation und Medien

Einer der wichtigsten Schritte beim Umgang mit Repression, ist die Erhöhung der öffentlichen Unterstützung und Sichtbarkeit. Allerdings war auf dem Camp die Fähigkeit der Kommunikation nach außen (wie allgemein in den emanzipatorischen Netzwerken) extrem gering, sowohl durch offizielle Medien als in der Öffentlichkeit. Das Camp war politisch und geographisch ziemlich isoliert, wodurch es sich selbst zu einer weiteren Banlieue machte. Der NoBorderZone Bus der täglich in der Innenstadt war und die Karawane der Banlieues waren exzellente Ansätze jedoch lange nicht zureichend.

Der Zugang zu Medien war bereits in den Monaten der Vorbereitung ein erkennbares Problem. Es gab schwierige Debatten während der Vorbereitungen, einige allgemeine Konzepte wurden entwickelt, aber der Mangel an Graswurzelkultur in der Medienarbeit und an der Fähigkeit, außerhalb des eigenen Ghettos zu kommunizieren, dominierte die Situation. Es gab keine echte vorab aufgebaute Mediengruppe oder -infrastruktur und kaum Vorbereitung seitens der lokalen Gruppen (Kontakte aufbauen, Pressemappen zusammenstellen....). Obwohl es auf dem Camp eine Menge "Medienphobie" gab, sollte die Enttäuschung nicht einfach auf die Medienscheuen projiziert werden und die strukturellen Fehler ignorieren. Sogar unabhängige und alternative MedienaktivistInnen hatten bei ihrer Arbeit während des Camps eine harte Zeit. Die Tendenz der Netzwerke, ein Ghetto zu bilden, und die Unfähigkeit zur Außenwirkung sind ein ernsthaftes Defizit, das auf allen Ebenen anzugehen ist.

Die Netzwerke sollten aufpassen, dass der Aktivismus des Typs "Black Block" nicht die Frucht der Bilder wird, die die Medien (und auch die eigenen Medien der Bewegung) produzieren, die mehr mit ästhetischem Appeal und oberflächlicher politischer Aufmerksamkeit zu tun haben als mit realen Kämpfen und Vermittlung einer politischen Message. Wenn die Netzwerke Außenstehende nicht erreichen, keine Werte vermittelt und wir keine neuen sozialen Beziehungen aufbauen, ist alles was wir tun letztlich nur eine Mode.

Zusammenfassung einiger Punkte

Leute aus ganz Europa kamen zum no border camp mit unterschiedlichen Erwartungen, unterschiedlichen politischen Kulturen und Praxen. Das Camp war nicht in der Lage, die verschiedenen Erwartungen an Aktionen, Selbstorganisation und lokaler Außenwirkung erfolgreich in Einklang zu bringen. Die Mischung aus selbstorganisiertem Aktionscamp und einer Art Mini-Konferenz war sehr schwierig auszubalancieren und hätte, um erfolgreicher durchgeführt zu werden, klarer definierte und geteilte Ziele, mehr Zusammenhalt der TeilnehmerInnen und mehr gegenseitiges Vertrauen benötigt. In Strassburg war das Camp mit auseinandergehenden Erwartungen überfrachtet.

Aber der in Strasbourg erfahrene "Zusammenstoß" gab alles in allem positive Entwicklungen innerhalb der emanzipatorischen Netzwerke wieder, die sicher lokal und bei der europäischen People's Global Action-Konferenz in Leiden vom 31.8 bis 4.9 (vgl. www.pgaconference.org) auftauchen werden.
Die Netzwerke müssen sich auseinandersetzen mit:
- der Verbesserung lokaler Graswurzelarbeit: Teilen von Kenntnissen und Fähigkeiten, Lernen von Fremdsprachen, Medienarbeit, Fähigkeit zur Kommunikation außerhalb des Ghettos
- mehr Nachdenken darüber, wie soziale Veränderungen passieren, die Erfahrungen der Gegengipfel, Camps und lokalen Tätigkeiten auswerten, und Schlüsse daraus ziehen, welches die besten zu verfolgenden Strategien sind
- Überlegen, wie in reale soziale Dynamiken eingegriffen werden kann

Anmerkungen:

[1] Was oft als "Anti-Globalisierungs-Bewegung" bezeichnet wird, ist eine sehr vielfältige und heterogene Bewegung. Der Ausdruck "emanzipatorische Netzwerke" ist ebenfalls unklar. Wir alle unterliegen dem gleichen Unterdrückungsverhältnis. Der Ausdruck versucht sich auf das linke, libertäre Spektrum zu beziehen, auf anti-autoritäre Menschen, die die PGA-"Hallmarks" unterstützen, und auf sympathisierende Gruppen und Einzelpersonen. [back]

[2] Vgl. den Artikel in der TAZ vom 20.7.02 "Ende eines Höhenflugs" und das Interview "Natürlich gab es viele Illusionen", [back]

[3] Empfehlenswerter Text! "Zum Stand der Bewegung" Wildcat-Zirkular Nr. 64 - Juli 2002 - S. 9- 22; und auch "give up activism", ein Auswertungstext, der nach J18 in London (1999) geschrieben wurde (auf Englisch). [back]

[4] Im Mai 2001, begangen mehr als 1000 MigrantInnen aus ganz Deut$chland zivilen Ungehorsam, indem sie sich drei Tage lang in Berlin trafen, auf einem öffentlichen Platz in der Nähe der Regierungsgebäude zelteten, Workshops durchführten, kleinere Aktionen machten. Sie übergaben öffentlich einen Brief an den Deutschen Bundestag, in dem ausdrückten, dass sie die Residenzpflicht (Zwang für AsylbewerberInnen, den ihnen zugewiesenen Landkreis nicht zu verlassen) nicht akzeptieren und nicht mehr respektieren würden. Die Aktionstage wurden von den Medien und der Polizei total unsichtbar gemacht und führten nicht zu weiteren Dynamiken im Land. [back]

[5] Updates über den Streik von MigrantInnen gegen Arcade hier: www.ras.eu.org/arcades/. [back]

[6] Der Beitrag an dieser Stelle ist sehr begrenzt und berührt nur einen Aspekt. Aktivitäten wie die no border camps haben Situationen sexistischer Übergriffe erlebt, was zeigt, wie sehr wir uns mit dem Thema in unseren eigenen Strukturen beschäftigen müssen. Es wurden mehrere Initiativen hinsichtlich dieses Themas gestartet, die, wie ich hoffe, mehr Informationen über ihre Arbeit und Schlussfolgerungen verbreiten werden. [back]

[7] "Männer neigen dazu, zu organisieren, wie sie ficken - ein Riesenansturm, und dann 'bam, slam, thank you, ma'am', sozusagen. Wir Frauen sollten unsere Bewegung aufbauen, wie wir Liebe machen - allmählich, mit dauerhafter Aufmerksamkeit, grenzenloser Dauer - und natürlich mehreren Orgasmen.". flag.blackened.net/af/online/tyranny.html [back]

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