source: Jungle World
International zelten: Am 19. Juli beginnt das NoBorder-Camp in Strasbourg
15.Jul.02 - Das Medienprojekt ASCII aus Amsterdam fragt nach Strom für 40 Rechner. Die Volxtheaterkarawane aus Wien braucht einen Internetzugang. Indymedia auch. Das frankophone SansTitre-Netzwerk baut 20 Trockenklos. Zwischen dem Kollektiv gegen Abschiebungen aus Paris, dem YaBasta-Netzwerk aus Italien und dem Afrika-Forum The Voice aus der Bundesrepublik gibt es Gezerre, wie der Kampf für Bewegungsfreiheit beim Camp präsentiert werden soll.
Meinungsverschiedenheiten brechen auch auf bei der Debatte, ob eine große Demonstration den Abschluss bilden soll oder lieber ein Aktionstag. Strittig bleibt der Charakter solcher Manifestationen. Bunt und vielfältig, wie es die französische Bewegung der EinwandererInnen aus den Vorstädten (MIB) und die Rhythms of Resistance aus London befürworten? Oder sollen es doch konfrontativere Aktionen sein?
Vom letzten NoBorder-Treffen in Warschau wird berichtet, dass aus Osteuropa meistens nur kleine Gruppen kommen. Aus Finnland wird ein Reisebus mit CamperInnen angekündigt. Dasselbe wird aus Brandenburg berichtet. Hochrechnungen für das Camp belaufen sich auf 2 000 TeilnehmerInnen. Unklar ist die Zahl der SchweizerInnen, die unverhohlen wegen ihrer Sprachenvielfalt gern als ÜbersetzerInnen gehandelt werden. Aus Strasbourg wird vom festival permanent contre les lois racistes angemahnt, dass mehr Texte auf französisch verfasst werden sollen, wegen der lokalen Mobilisierung.
Strasbourg mit seiner wechselhaften Geschichte symbolisiert, wie vergänglich und von Menschen gemacht Staatsgrenzen sind. Heute spielt die Stadt in der EU als Sitz des europäischen Parlaments und des Menschengerichtshofs die Rolle des good guy im Verhältnis zur Brüsseler Zentrale. Weniger bekannt ist der in Strasbourg befindliche Bunker des SIS, des Schengen-Informationssystems. Dort fließen die Daten von knapp 20 000 Terminals der europäischen Bundes- und Grenzpolizeien zusammen. Zurzeit wird Strasbourg von der Rechten regiert, in den Vorstädten finden seit Jahren regelmäßig zu Silvester Proteste statt.
Beschlossen wurde das Camp im Dezember beim europäischen NoBorder-Treffen in München mit TeilnehmerInnen aus 16 Ländern. Hintergrund waren die Grenzcamps 2001 in Slowenien, Spanien, Polen, Deutschland sowie die Demonstration für die Rechte der MigrantInnen in Genua. Bei diversen Treffen sowie den EU-Protesten in Brüssel wurde der Wunsch nach einem gemeinsamen Diskussions- und Aktionscamp immer lauter, besonders nach dem des 11. September.
Ein Kommentar aus dem deutschen Vorbereitungskreis »jeder mensch ist ein experte« fasst die Gründe wie folgt zusammen: »Wir wollten einen Austausch mit denen, die aus einer antirassistischen Perspektive gegen die globalen und europäischen Institutionen sowie die Weltwirtschaft auf die Straße gegangen sind. Dabei ist Migration als eine Globalisierung von unten ein zentrales Motiv. Camps sind gut, um Ideen von Organisierung kennen zu lernen und entsprechende Projekte auszuloten. Stellvertretend seien nur die Social Consulta von Peoples Global Action, das Europäische Soziale Forum und eine Kampagne gegen die International Organization of Migration (IOM) genannt. Für die bundesrepublikanische Linke ist uns eine Internationalisierung wichtig. Die bornierten, jammernden und deutschtümelnden Diskurse sind wir leid. Lokale Situationen haben sich trotz aller Besonderheiten angenähert. Das Camp ist ein Ort, an dem wir für unsere lokale Praxis Anregungen gewinnen können.«
Das internationale NoBorder-Camp in Strasbourg wird sich rund um sechs Küchen in so genannten barrios organisieren, die die Basisstruktur bilden. Diese Einheiten entsenden dann Delegierte zum speakers' council. Die Kommunikation soll außerdem mit einem Experiment unterstützt werden: Radiofreaks wollen Mikrosender herstellen, mit denen auf verschiedenen Frequenzen die zentralen Abendveranstaltungen in diverse Sprachen übersetzt werden. Dafür und für die allgemeine Campunterhaltung werden DolmetscherInnen händeringend gesucht bzw. aufgefrischte Fremdsprachenkenntnisse insbesondere in Französisch und Englisch erwartet.
Der Öffentlichkeit wird mit täglichen Ausflügen in die Vorstädte und das Stadtzentrum große Aufmerksamkeit gewidmet. Eine Initiative möchte rund um ihren MultiMedia-Bus NoBorder-Zonen einrichten. Das MIB und andere Gruppen wollen die Polizeigewalt und die rassistische Justiz sowie soziale und politische Widerstandsstrategien ansprechen. Die Sans Titres werden vehement auf Selbstverwaltung drängen. Anti-Abschiebungsgruppen haben seit dem australischen Camp in Woomera mit seiner Befreiungsaktion ein neues Thema.
Aktionen und Demonstrationen soll es auch in Strasbourg geben. Bewegungs- und Informationsfreiheit, Migration, Arbeit und Globalisierung, koloniale Justiz, soziale Kontrolle, das Grenzregime der Europäischen Union sowie globale Rechte sind die Schlagworte nicht nur für Diskussionsveranstaltungen und Arbeitsgruppen, sondern auch für die antirassistische Praxis. Das Schengen-Informationssystem wird als Rechenzentrum des rigiden Kontrollwahns und als Verkörperung der EU-Abschiebepolitik eine zentrale Rolle spielen und Ziel einer Großdemonstration am 27. Juli sein.