source: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Das Grenzcamp der Globalisierungsgegner- In Straßburg trennten sich die Wege der Globalisierungskritiker
29.Jul.02 - Für die Trekkingzelte und Zirkuskuppeln des "Internationalen Grenzcamps" ist der staubig-unbehauste Park gleich hinter der Europabrücke kein unpassender Standort. Schon seit Jahren dienen die "Grenzcamps", anfangs nur in Deutschland und inzwischen selbst im mexikanischen Tijuana, der Protestbewegung als Ferienlager. Das Straßburger Grenzcamp versuchte nun erstmals, eine Sammelstelle jener unterschiedlichen Strömungen zu schaffen, welche in ganz Europa unter den Schlagworten des Antikapitalismus und des Antirassismus firmieren. Auf dem Parkplatz freilich stellten die Opels aus Limburg und Audis aus Emden eine deutliche Mehrheit. Und auch bei der Abstimmung darüber, ob der Abendfilm über den ewigen Todeskandidaten Abu Mumia Jamal mit deutschen oder englischen Untertiteln laufen soll, erhielt die Weltsprache eine klare Absage.
"Herzlich Willkommen" steht in altdeutschen Lettern auf dem in Bühl-Eisental entliehenen Festzelt. Im Herzen Europas schlugen rund zweitausend Camper für zehn Tage ihre Zelte auf. Doch nicht als weltoffene Flammkuchenmetropole, sondern als postkoloniale Machtzentrale rückte Straßburg ins Visier. Während sich die Stadt auf Schildern in der Innenstadt als Sitz des Europaparlaments und des Kulturfernsehsenders Arte präsentiert, kreisten die Workshops ganz um die Überwachungsverfahren des "Schengen Information System" und die Polizeigewalt in den Banlieues. Allein, weder die mehrtägige Vorstadtkarawane noch der geplante Protestmarsch drangen bis ins heiße Stadtviertel Neuhof im Straßburger Süden vor, zugleich Sitz des SIS und berüchtigtes Randgebiet. Denn nachdem bei einer Kundgebung in der Straßburger Innenstadt frühzeitig Flaschen flogen und Tränengas strömte, hing bald ein zweiseitiger Erlaß an jedem Baum am Rheinufer. Wegen Verstoßes gegen das Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung vom 23. Oktober 1935 untersagte der Präfekt des Elsaß den Grenzcampern jedes weitere Erscheinen im Stadtgebiet.
Die einzigen Zeugen des politischen Treibens blieben von da an über weite Strecken jene Polizisten, die im Frühstückssaal des trostlosen Hotels "Mercure" ihre Kraftnahrung verspeisten und durch die Fenster zusahen, wie ihre übernächtigten Gegenüber aus den Schlafsäcken krochen. Ein Jahr nach Genua sieht die Protestbewegung Anlaß, ihren Auftritt zu überdenken. Trotz aller verkabelten Armeezelte voller übernächtigter Webmaster, trotz aller bemalten Doppelbusse mit Internetanschluß, trotz aller Befreiungsaufrufe im Vierfarbdruck und Reader über medizinische Hilfe für Flüchtlinge. Denn die Lethargie, welche den Campingplatz zeitweise selbst in eine Banlieue verwandelte, verdankte sich nach einhelliger Meinung nicht nur der harten Haltung der Straßburger Behörden.
Marcello zum Beispiel, ein deutsches Mitglied im Vorbereitungskomitee, bekundet Unbehagen an der "Gegengipfeldynamik", welche das Camp eingeholt habe: "Wir haben keinen Bock auf Blut und Gas und Schläge." Marcello sitzt auf einem Lastwagenreifen dicht am Fluß, im Gras blühen Kornblumen. Ursprünglich sollte das Grenzcamp laut Marcello nicht dem Aktionismus der jungen Wilden als Bühne dienen, sondern ein "Experiment in Basisdemokratie" ermöglichen. Die Einigkeit im Dagegensein ist für viele unter den Zeltenden endgültig vorüber. Attac gilt inzwischen selbst als globale Verschwörung, und an die Rettung des Sozialstaats durch die Tobinsteuer glaubt keiner mehr. Statt dessen steht Organisationsphilosophie hoch im Kurs. Flußdiagramme veranschaulichen den dezentralen Zusammenhang der "Barrios", angelegt um jeweils eine Küche, einen Toilettenblock, eine Müllsammelstelle und einen Diskussionplatz. Andere Flußdiagramme führen die weltweiten Verzweigungen von Großkonzernen wie Philip Morris, Christian Dior oder Vivendi vor. Stellen die veganischen Garküchen, jede für sich ein überbordendes Bühnenbild aus Eichenholz, Blech und Blumen, die Grundbestandteile eines vernetzten Gegenimperiums dar?
Paule und Momo, die im Kasseler Raum auf dem Land wohnen, halten sich auf dem Parkplatz auf, wo ihr großer VW-Bus mit offener Schiebetür Schatten spendet. Die Zukunft sieht das Paar weniger auf der Straße als in alternativen Lebensformen. Momo nennt die Tauschringe in Argentinien, Paule schwärmt von den Biohöfen um Witzenhausen. Nicht nur die Sehnsucht nach den Landkommunen und der erbitterte Streit um die Gewaltfrage erwecken den Eindruck, daß die Bewegung der Globalisierungskritiker allmählich in den siebziger Jahren ankommt. Am Ende schwärmen die zerstrittenen Grenzcamper nach allen Seiten aus. Versprengte Grüppchen tauchen im Trubel eines Flohmarkts in der Straßburger Innenstadt unter, während ein kleiner Demonstrationszug vor der französischen Elitepolizei auf die beschauliche deutsche Seite ausweicht. In der Fußgängerzone von Kehl, wo "Woolworth" das Höchstmaß an Globalisierung darstellt, warten bloß ein freundlicher badischer Dorfpolizist und eine Eisbude. An Rückzugsmöglichkeiten herrscht auch in der globalisierten Welt kein Mangel.