source: Peter Nowak in Telepolis
Ruhe in Straßburg
28.Jul.02 - Kritik am Schengen-Informationssystem war am Wochenende in Straßburg nicht erwünscht
Seltsames passierte am letzten Freitag in der Rue de la Faisanderie im Straßburger Vorort Neudorf. Mit quietschenden Reifen hielten zahlreiche Autos in dem ruhigen Villenviertel. Menschen mit bunten Overalls stiegen aus, in den Händen hielten sie Laptops und allerlei undefinierbare Gerätschaften, mit denen sie sogleich begleitet von einem Medienpulk den Boden abtastete. Missmutig beobachtet wurde das Schauspiel von einer Kette französischer Polizisten, die die kleine Strasse vollständig abgesperrt hatten.
In einem der gutbürgerlichen Häuser dieses Viertels befindet sich der Zentralcomputer des SIS. Die Abkürzung steht für [1]Schengen-Informations-Systems. Dort sind rund 9,5 Millionen Datensätze vornehmlich von ausgewiesenen oder zur Ausweisung ausgeschriebener Flüchtlinge gespeichert. Auch rund 750.000 Personen, denen die Einreise verweigert wird, sind dort eingetragen ( [2]Die Globalisierung der Überwachung). Wenn in irgendeinem Schengenmitgliedsstaat Daten über sogenannte "grenzüberschreitende Kriminalität" eingegeben werden, laufen diese über das SIS und können von den Polizeibehörden aller Schengen-Mitgliedsstaaten abgerufen werden.
Die Kapazitäten des SIS werden aktuell noch ausgeweitet. So wird zur Zeit an der Integration der nordeuropäischen Staaten in dieses Überwachungssystem gearbeitet ( [3]Die Europäische Union baut das Schengen-Informationssystem aus). In die Schlagzeilen kam das SIS allerdings nur, als [4]bekannt wurde, dass geheime Fahndungsdaten an kriminelle Organisationen gelangt sind.
In den letzten Tagen ist das SIS nun erstmals Ziel von [5]Protesten geworden. Antirassistische Initiativen und Flüchtlingsgruppen aus zahlreichen europäischen Ländern hatten bis zum Sonntag direkt hinter der Europabrücke in den Rheinauen bei Strassburg ihre Zelte aufgeschlagen. Am Mittwoch letzter Woche wurden nach einer Demonstration, bei der es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten kam, sämtliche politischen Aktionen im Raum Straßburg verboten. Auch die lange vorbereitete Demonstration zum SIS war daher nicht mehr möglich. Demonstrationsversuche einiger hundert Personen wurden von der Polizei schnell unterbunden.
Trotz dieser Behinderung bezeichnen es die Antirassismusgruppen als einen großen Erfolg, dass das SIS jetzt erstmals auch in Region ein Thema ist. Man werde weiter kreativen Widerstand leisten, betonen alle Antirassismusgruppen unisono. In welche Richtung das gehen könnte, zeigte eine Spaßguerillaaktion. Man habe unter Beisein der Presse in einer Straße, die zum SIS führt, ein Loch gegraben, ein Kabel, das zum SIS-Computer führt, mit einem Laptop verbunden und sich dann eingeloggt. Dann habe man die Benutzerrechte verändert, so dass nun alle über das Internet Zugang hätten, Daten einsehen und auch verändern könnten.. Schnell stellte sich heraus, dass diese [6]Meldung ein Fake war.