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Zeit 12.06.2001, Markus Ehrenberg
Internet: Absturzgefahr für den Kranich
Weil die Lufthansa abgeschobene Asylbewerber transportiert, wollen Aktivisten ihre Homepage lahm legen
Am 20. Juni ist für den Kranich der "Tag X" gekommen. Das jedenfalls wünschen sich die Antirassismus-Initiativen Kein Mensch ist illegal (KMII) und Libertad, die an diesem Tag mit Deutschlands erster Online-Demo die Homepage der Lufthansa lahm legen wollen. Sie werfen der Fluggesellschaft vor, bei jährlich rund 10 000 Abschiebungen mit ihren Flugzeugen behilflich zu sein. Im Mai 1999 erstickte der Sudanese Aamir Ageeb während seiner Abschiebung an Bord des Lufthansa-Fluges LH 558, nachdem ihn drei Grenzschutzbeamte gefesselt und ihm einen Motorradhelm aufgesetzt hatten.
Nach eigenen Angaben befördert die Lufthansa inzwischen zwar keine Personen mehr, die "erkennbar" Widerstand leisten. Den Abschiebungsgegnern reicht diese Absichtserklärung aber nicht aus. Auf ihrer Homepage verkünden sie: "Wenn Konzerne, die mit der Abschiebung Geld verdienen, ihre größten Filialen im Internet aufbauen, muss man auch genau dort demonstrieren."
Wie bei einer Sitzblockade vor dem Werkstor wollen die Online-Demonstranten deswegen den Zugang zu dem Lufthansa-Portal www.lufthansa.com verriegeln. Selbst Computerunkundige können per Mausklick mitdemonstrieren, indem sie sich auf der Website der Abschiebungsgegner die entsprechende Protestsoftware herunterladen. Diese schickt automatisch laufend Anfragen an die Lufthansa-Seite. Am 20. Juni um 10 Uhr, während der Jahreshauptversammlung der Fluggesellschaft, sollen so Zehntausende weltweit auf die Lufthansa-Websites zugreifen. Die Veranstalter hoffen, dass der Datensturm den Großrechner überfordert und für kurze Zeit blockiert. Angeblich werden dabei weder Daten zerstört noch gestohlen. Das unterscheidet die Aktion von herkömmlichen Hackerangriffen. Man habe es nur auf das Firmenimage abgesehen, so der Standpunkt von KMII. Die Online-Demo ist sogar beim Ordnungsamt Köln angemeldet, die Protestsoftware im Netz für alle sichtbar offen gelegt.
Derzeit zeigt sich die Lufthansa durch die angekündigten Maßnahmen nur bedingt eingeschüchtert. "Wir nehmen die Online-Demo sehr ernst und sind vorbereitet", sagt Lufthansa-Sprecher Thomas Ellerbeck. Man finde allerdings, dass diese Aktion die Falschen treffe. "Die Abschiebungen beruhen auf richterlichen Beschlüssen. Wir sind doch nur das Transportunternehmen." Wie auch immer: Die Sicherung der Kundendaten habe höchste Priorität.
Ob die Lufthansa-Seite am 20. Juni tatsächlich blockiert werden kann, darüber sind sich die Experten nicht einig. Es sei "sehr schwierig", eine solche Attacke abzuwehren, sagt Michael Dickopf, Sprecher des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. "Wenn genug Online-Demonstranten mitmachen, aber auch nur dann, ist die Homepage des Unternehmens vorübergehend nicht erreichbar." Der Berliner Internet-Experte Burkhard Schröder sieht das nicht ganz so dramatisch. Die Lufthansa könne die Online-Demo abwehren, "wenn sie einen guten Netzverwalter hat". Was E-Protest ausrichten kann, bewies 1999 der Domain-Namen-Krieg zwischen der kleinen Schweizer Künstlergruppe etoy und dem Spielwarenversand etoys.com. Es gab virtuelle Sit-ins vor dem Internet-Portal des mittlerweile Pleite gegangenen Spielwarenhändlers. Der virtuelle Kranich hingegen hat noch viel vor. Die Lufthansa will 2001 erstmals eine halbe Million Tickets über das Internet verkaufen. Die Online-Verkäufe sollen bis 2005 auf bis zu 25 Prozent steigen - da muss das Internet-Portal halten, was es dem Kunden verspricht. Während der Countdown zur ersten Online-Demo läuft, überlegt die Lufthansa noch, ob sie juristische Schritte gegen die Blockade auf der Datenautobahn einleiten wird.
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