Deportation Class
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"Süddeutschen Zeitung" vom 28.4.2000
Abschiebung von Flüchtlingen mit Linienflügen
Reisen in der „Deportation Class“ Von Martin Zips Frankfurt, 27. April – „Buchen Sie Lufthansa Deportation Class“, steht auf dem Flugblatt. „Hier bieten wir Ihnen bis zu 30 Prozent Preisnachlass auf alle Flüge, weil ein abgetrennter Bereich der Maschinen für Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert ist.“ Versprochen werden „Wartelistenpriorität“ und eine „erhöhte Freigepäckmenge“, „Business-Class“-Service und „multimediale Events“. Wer die angegebene Info-Hotline anwählt, landet tatsächlich bei der Deutschen Lufthansa. Das sei wohl ein schlechter Scherz, sagt die junge Frau in der Reservierungszentrale, wahrscheinlich eine Erfindung „von irgendwelchen Spinnern“. Natürlich gibt es keine „Deportation Class“. Das Flugblatt stammt von einem anonymen Absender, gegen den die Lufthansa Anzeige erstattet hat. Aber es taucht immer wieder auf. In Reisebüros, an Abflugschaltern. Auch knapp ein Jahr nach dem gewaltsamen Erstickungstod des sudanesischen Flüchtlings Aamir Ageeb auf dem Linienflug LH 558 von Frankfurt nach Khartum plagt die Lufthansa ein Imageproblem. Die Ermittlungen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Ageebs drei BGS-Begleiter sind noch nicht abgeschlossen. Zahlreiche Zeugen des Zwischenfalls müssen noch im Ausland vernommen werden. Unterdessen organisieren Abschiebungsgegner via Internet Protestaktionen gegen die Fluggesellschaft, die „ihre Flugverbindungen in die ganze Welt für Abschiebungen zur Verfügung stellt und sich so zum willfährigen Handlanger der brutalen Abschiebepraxis macht“. So steht es auf der Homepage von „Kein Mensch ist illegal“. Das Netzwerk, in dem mehr als 120 Initiativen zusammengeschlossen sind, organisiert deutschlandweit den Protest. Zum Todestag von Ageeb am 28. Mai sind Aktionen auf mehreren deutschen Flughäfen und vor Reisebüros geplant. Am 15. Juni soll die Aktionärsversammlung der Lufthansa in Berlin gestört, Anfang Juli der Flughafen Berlin-Schönefeld blockiert werden. Anschlag auf den Lufthansa-Chef In Sachen „Deportation-Class“-Flugblatt hält man sich bei den Aktivisten jedoch zurück. Es gibt kein Lob, aber auch keine eindeutige Distanzierung. „Sie wissen, dass es da eine Strafanzeige gibt“, sagt Netzwerk-Sprecher Martin Rapp vorsichtig. Bereits mehrfach habe auch militante Abschiebungs-Gegner zugeschlagen. Mitte März bewarfen Unbekannte das Privathaus des Lufthansa-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Weber mit Farbbeuteln. Kurz vorher war ein Brandanschlag auf das Auto einer Hamburger Amtsärztin verübt worden, die Abschiebehäftlinge für reisetauglich erklärt hatte. Am 13. März beobachtete der Leipziger Politologe Klaus-Gerd Giesen auf dem Flug LH 4115 von Paris nach Berlin, wie zwei französische Polizisten einen afrikanischen Flüchtling schlugen, der sich gegen seine Abschiebung wehrte. Trotz des Protestes einiger Passagiere habe die Crew der im Auftrag von Lufthansa fliegenden Air Littoral nicht reagiert. „Erst als ich dem Kapitän mit juristischen Konsequenzen drohte, wurde der Flug annulliert“, schreibt Giesen in einem Rundbrief. Mehr als 32 000 Flüchtlinge wurden 1999 im Flugzeug aus Deutschland abgeschoben, rund die Hälfte mit einer Lufthansa-Maschine. Das exzellente Mittel- und Langstreckennetz wird offenbar auch von den Ausländerbehörden geschätzt. Den Mitarbeitern der Kranich-Linie fehle das Bewusstsein, „Exekutivorgan einer inhumanen Abschiebepolitik zu sein“, kritisiert „Pro-Asyl“-Sprecher Heiko Kauffmann. Auch die Menschenwürde des Flüchtlings müsse für das Personal eine Rolle spielen. Bei der Lufthansa wiederum erklärt man, Ereignisse wie auf dem Flug von Paris nach Berlin seien „leidvolle Ausnahmen, gegen die wir bei den Verantwortlichen sofort protestieren.“ Um das „Risiko einer unzumutbaren Belastung für Passagiere und Crews auszuschließen“ sei der Transport im vergangenen Jahr in 235 Fällen verweigert worden, sagt Lufthansa-Sprecher Michael Lamberty. Intern habe man sich darauf verständigt, keine Abschiebungen mehr gegen den Widerstand der Betroffenen vorzunehmen. Die Münchner Ausländerrechtsexpertin Gisela Seidler nennt das einen „PR-Bluff“. Entsprechende Anweisungen existierten nur als Presseerklärung, das Personal habe sie nie erhalten. Auch Bernd Bockstahler von der Pilotenvereinigung „Cockpit“ spricht von einer „schwierigen rechtlichen Situation“ für die Piloten. „Wenn ein Flüchtling das Flugzeug verlassen muss, dann kommt der schon bald mit zwei neuen BGS-Beamten wieder“, sagt er. Lediglich bei gravierenden Sicherheitsbedenken habe der Kapitän das Recht, die Beförderung abzulehnen. In der Regel aber müsse er davon ausgehen, dass die Rückführung „rechtmäßig“ sei. Wer ethische Bedenken äußere, dem drohten „arbeitsrechtliche Sanktionen“. Charter statt Linie Auch die Lufthansa plädiert für einen Verzicht auf Abschiebungen mit Linienflügen. Sinnvoller sei es, mehr Flugzeuge für die „Rückführung der Schüblinge“ zu chartern. Doch das kann teuer werden: Weil ein Gericht die Abschiebung eines Flüchtlings aus Bayern in letzter Sekunde verhinderte, musste eine vom Freistaat angemietete Maschine am Boden bleiben. Die Kosten: 50 000 Mark. Doch bislang gehen die „Abschiebungen auf Linie“ weiter. Wie sehr die Proteste dagegen dem Image der Lufthansa schaden, zeigt folgende Geschichte: Weil Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in München, die böse Ironie des „Deportation-Class“-Flugblattes nicht erkannte, schrieb sie der Fluggesellschaft einen geharnischten Brief. Diese musste umgehend eine Pressekonferenz einberufen und klarstellen: Eine „Deportation Class“ gibt es nicht. Bildunterschrift: Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern auf dem Frankfurter Flughafen – mehr als 16 000 von ihnen flogen 1999 mit der Lufthansa. Foto:AP/SZ |